Kapitel 1.
Wie der Gnomenkönig wütend wurde.
DER Gnomenkönig war wütend und in solchen Zeiten war er sehr unangenehm. Jeder hielt sich von ihm fern, sogar sein Oberhofmarschall Kaliko.
Deshalb wütete und tobte der König ganz allein, ging in seiner juwelenverzierten Höhle auf und ab und wurde immer wütender. Dann erinnerte er sich daran, daß es keinen Spaß machte, wütend zu sein, wenn er nicht jemanden hatte, den er erschrecken und elend machen konnte, und er eilte zu seinem großen Gong und ließ ihn so laut wie möglich erschallen.
Darauf kam der Oberhofmarschall und versuchte dem Gnomenkönig nicht zu zeigen, wie verängstigt er war.
„Schick den Obersten Berater her!“, schrie der wütende Monarch.
Kaliko rannte so schnell, wie seine spindeldürren Beine seinen feisten, runden Körper tragen konnten, und bald betrat der Oberste Berater die Höhle. Der König runzelte die Stirn und sagte zu ihm:
„Ich habe große Schwierigkeiten wegen des Verlusts meines Zaubergürtels. Jedes Mal, wenn ich etwas Magisches tun will, stelle ich fest, daß ich es nicht kann, weil der Gürtel nicht mehr da ist. Das macht mich wütend, und wenn ich wütend bin, fühle ich mich nicht wohl. Nun, was rätst du mir?“
„Manche Leute“, sagte der Oberste Berater, „genießen es, wütend zu werden.“
„Aber nicht die ganze Zeit“, erklärte der König. „Von Zeit zu Zeit wütend zu sein macht wirklich großen Spaß, weil es andere so unglücklich macht. Aber morgens, mittags und abends wütend zu werden, wird eintönig und verhindert, daß ich irgendeine andere Freude im Leben habe. Also, was rätst du?“
„Nun, wenn Ihr wütend seid, weil Ihr magische Dinge tun wollt und es nicht könnt, und überhaupt nicht wütend werden wollt, so lautet mein Rat, keine magischen Dinge zu tun.“
Als er das hörte, funkelte der König seinen Ratgeber wütend an und zupfte an seinem langen weißen Bart, bis er so stark daran zog, daß er vor Schmerzen aufschrie.
„Du bist ein Narr!“, rief er aus.
„Ich teile diese Ehre mit Eurer Majestät“, sagte der Oberste Berater.
Der König brüllte vor Wut und stampfte mit dem Fuß auf.
„He, ihr da, meine Wachen!“, rief er. „He“ ist eine königliche Art zu sagen: „Komm her.“ Als nun die Wachen herbeirannten, sprach der König zu ihnen:
„Nehmt diesen Obersten Berater und setzt ihn vor die Tür.“
Dann nahmen die Wärter den Obersten Berater und banden ihn mit Ketten, um seine Gegenwehr zu verhindern, und warfen ihn vor die Tür. Und der König schritt in seiner Höhle auf und ab, und war wütender als zuvor.
Schließlich eilte er zu seinem großen Gong und ließ ihn wie einen Feueralarm wiederhallen. Kaliko erschien wieder, zitternd und blaß vor Furcht.
„Hol meine Pfeife!“, schrie der König.
„Eure Pfeife ist bereits hier, Majestät“, antwortete Kaliko.
„Dann hol meinen Tabak!“, brüllte der König.
„Der Tabak ist in Eurer Pfeife, Majestät“, gab der Oberhofmarschall zurück.
„Dann bring eine glühende Kohle aus dem Herd!“, befahl der König.
„Der Tabak ist angezündet, und Eure Majestät raucht bereits Eure Pfeife“, antwortete der Verwalter.
„Wahrhaftig, das tue ich!“, sagte der König, der diese Tatsache vergessen hatte; „Aber es ist sehr unhöflich von dir, mich daran zu erinnern.“
„Ich bin ein niederer, erbärmlicher Bösewicht“, erklärte der Oberhofmarschall demütig.
Dem Gnomenkönig fiel keine Erwiderung darauf ein, also paffte er seine Pfeife und ging indessen im Zimmer auf und ab. Schließlich erinnerte er sich, wie wütend er war, und schrie:
„Wie kannst du so zufrieden sein, Kaliko, wenn dein Monarch unglücklich ist?“
„Was macht Euch unglücklich?“, fragte der Oberhofmarschall.
„Ich habe meinen Zaubergürtel verloren. Ein kleines Mädchen namens Dorothy, das mit Ozma von Oz hier war, stahl meinen Gürtel und trug ihn mit sich fort“, sagte der König und knirschte vor Wut mit den Zähnen.
„Sie hat ihn in einem ehrlichen Kampf gewonnen“, wagte Kaliko zu sagen.
„Aber ich will ihn! Ich muß ihn haben! Mit diesem Gürtel habe ich auch die Hälfte meiner Macht verloren!“, brüllte der König.
„Ihr werdet ins Land von Oz gehen müssen, um ihn wiederzugewinnen, und Eure Majestät kann auf keine erdenkliche Weise in das Land von Oz kommen“, sagte der Verwalter gähnend, weil er bereits seit sechsundneunzig Stunden im Dienst und müde war.
„Warum nicht?“, fragte der König.
„Weil es überall um dieses Märchenland herum eine tödliche Wüste gibt, die niemand überqueren kann. Das wißt Ihr ebensogut wie ich, Majestät. Vergeßt den verlorenen Gürtel. Ihr habt viel Macht übrig, denn Ihr regiert dieses unterirdische Königreich wie ein Tyrann, und Tausende von Gnomen gehorchen Euren Befehlen. Ich rate Euch, ein Glas geschmolzenes Silber zu trinken, Eure Nerven zu beruhigen und dann ins Bett zu gehen.“
Der König ergriff einen großen Rubin und warf ihn in Richtung von Kalikos Kopf. Der Oberhofmarschall duckte sich, um dem schweren Juwel zu entgehen, das knapp über seinem linken Ohr gegen die Tür krachte.
„Geh mir aus den Augen! Verschwinde! Geh weg – und schick General Blug her“, schrie der Gnomenkönig.
Kaliko zog sich hastig zurück, und der Gnomenkönig stampfte auf und ab, bis der General seiner Streitkräfte erschien.
Dieser Gnom war weithin bekannt als ein furchteinflößender Kämpfer und ein grausamer, gefährlicher Kommandeur. Er hatte fünfzigtausend Gnomensoldaten unter sich, die alle gut ausgebildet waren und nichts außer ihrem strengen Herrn fürchteten. Doch General Blug war ein wenig unruhig, als er ankam und sah, wie wütend der Gnomenkönig war.
„Ha! Da sind Sie ja!“, rief der König.
„Das bin ich“, sagte der General.
„Lassen Sie Ihre Armee sofort ins Land von Oz marschieren, erobern und zerstören Sie die Smaragdstadt und bringen Sie mir meinen Zaubergürtel zurück!“, brüllte der König.
„Ihr seid verrückt“, bemerkte der General ruhig.
„Wie war das? Was soll das heißen?“ Und der Gnomenkönig tanzte auf seinen spitzen Zehen herum, so wütend war er.
„Ihr wißt nicht, wovon Ihr redet“, fuhr der General fort und setzte sich auf einen großen geschliffenen Diamanten. „Ich rate Euch, Euch in eine Ecke zu stellen und bis sechzig zu zählen, bevor Ihr wieder sprecht. Dann seid Ihr vielleicht vernünftiger.“
Der König sah sich nach etwas um, das er auf General Blug werfen konnte, aber da nichts griffbereit war, begann er darüber nachzudenken, daß der Mann vielleicht recht hatte und er närrisch dahergeredet hatte. Also warf er sich einfach auf seinen glitzernden Thron, ließ seine Krone über sein Ohr rutschen, zog seine Füße unter sich hoch und starrte Blug böse an.
„An erster Stelle“, sagte der General, „können wir nicht über die tödliche Wüste ins Land von Oz marschieren. Und wenn wir es könnten, so hat die Herrscherin dieses Landes, Prinzessin Ozma, gewisse Zauberkräfte, die meine Armee unschädlich machen würden. Hättet Ihr euren Zaubergürtel nicht verloren, könnten wir eine Chance haben, Ozma zu besiegen, aber der Gürtel ist weg.“
„Ich will ihn!“, schrie der König. „Ich muß ihn haben.“
„Nun, dann wollen wir es mit Vernunft versuchen“, antwortete der General. „Der Gürtel wurde von einem kleinen Mädchen namens Dorothy erbeutet, das in Kansas in den Vereinigten Staaten von Amerika lebt.“
„Aber sie hat ihn in der Smaragdstadt bei Ozma gelassen“, erklärte der König.
„Wie könnt Ihr das wissen?“, fragte der General.
„Einer meiner Spione, der eine Amsel ist, flog über die Wüste in das Land von Oz und sah den Zaubergürtel in Ozmas Palast“, antwortete der König mit einem Stöhnen.
„Das bringt mich auf eine Idee“, sagte General Blug nachdenklich. „Es gibt zwei Möglichkeiten, ins Land von Oz zu gelangen, ohne durch die Sandwüste zu reisen.“
„Was für welche?“, fragte der König eifrig.
„Ein Weg istüber die Wüste hinweg, durch die Luft, und der andere Weg istunter der Wüste hindurch, durch die Erde.“
Als er dies vernommen hatte, stieß der König der Gnome einen Freudenschrei aus...