Die dunklen Lande
»Die Erde, deren Gewohnheit ist, die Toten zu bedecken, war damals an selbigem Ort selbst mit Toten überstreut, welche auf unterschiedliche Manier gezeichnet waren, Köpf lagen dorten, welche ihre natürlichen Herren verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihrer Köpf mangelten; etliche hatten grausam- und jämmerlicher Weis das Ingeweid heraus, und andern war der Kopf zerschmettert, und das Hirn zerspritzt.«
Aus:Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch (1668)
über die Schlacht bei Wittstock am 4. Oktober 1636
von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Capitulum I
Altona, nahe der Freien Reichsstadt Hamburg, April 1629
Her mit dem Bier, verflucht!«, brüllte Statius quer durch die Schenke. Sie trug den schönen NamenKaventsmann und lag unmittelbar an der Elbe nahe der Fähre, mit der er und seine zwei Begleiter übergesetzt hatten. »Weib, wie lange müssen wir noch warten? Weißt du nicht, dass es gefährlich ist, Männer des Krieges darben zu lassen?«
»Gleich, gleich«, rief verzagt die Schankmaid, die allenfalls vierzehn Jahre alt war, und füllte den Trunk aus einer großen Kanne in die Humpen.
Die restlichen Besucher duckten sich hinter ihre Krüge und redeten leise, vier Kartenspieler mühten sich, die Blätter leise abzulegen, um die Aufmerksamkeit und damit den Unmut der Söldner nicht auf sich zu ziehen.
»Und das Essen? Was ist mit dem Essen?«, setzte Statius nach, dessen Kleidung ebenso bunt wie die seiner beiden Freunde am Tisch war. Sie trugen mehrfarbig gestreifte Hemden mit bauschigen Ärmeln, geplusterte Schlitzhosen sowie Barette und Hüte mit langen, gefärbten Federn. Stolz machten sie deutlich, dass sie nichts mit den einfachen Menschen gemein hatten. Ihre Bärte waren sauber gestutzt, Statius’ Schnauzer war an den Enden verwegen waagrecht gedreht.
»Ja, Mama ist schon dabei«, versicherte das Mädchen und schleppte die Krüge an den Tisch. »Hier, bitte sehr.« Kaum hatten die Böden der Behältnisse die Platte berührt, hastete sie von dannen, um nicht von einem der Männer auf den Schoß gezogen zu werden. »Wohl bekomm’s.«
»Das hoffe ich. Sonst wirst du mir heute Nacht wohl bekommen.« Statius verteilte die Krüge. »Ein Hoch auf das Leben, das uns wiederhat, meine Freunde!«
Jacob, der Kleinste und Schmalste von ihnen, den alle nur Jäcklein nannten, hob seinen Humpen und stieß mit Statius an. »Jawoll! Mögen die Klingen der Gegner stets stumpf sein.«
Nicolas, der Älteste und ein Baum von einem Kerl, warf einen Blick aus dem offenen Fenster, durch den der Rauch der zahlreichen glühenden Pfeifen abzog. Sein Augenmerk galt dem Wagen, auf dem sich ihr Zelt, die Rüstungen und Stangenwaffen befanden, sowie dem daneben angebundenen Pferd. Er hätte Karren und Tier lieber in einer Scheune gewusst, aber Jacob und Statius hatten beim Anblick der Schenke keinen Schritt mehr gemacht. Ohnehin wage es niemand, sich daran zu vergreifen, meinten sie.
Letztlich blieb Altona eine armselige Ansammlung von Bauernhöfen, Fischerkaten und Wirtshäusern, ungeliebt von der blühenden Schwester Hamburg. Die Grafen von Schauenburg hatten die Ansiedlung von verfolgten Protestanten aus den spanischen Niederlanden, Mennoniten sowie deutschen und portugiesischen Juden veranlasst. Nachdem die Dänen Altona besetzt hatten, kamen die Kaiserlichen und tobten. Und nach ihnen die Pest. Etliche Häuser standen leer, andere trugen noch die Pestmarkierung.
Nicolas kannte das aus anderen Regionen, in denen er gewesen war. Ohne nach dem Krug zu sehen, packte er ihn. »Mögen die Klingen stumpf sein«, stimmte er zu und leerte das Bier in einem Zug; es schmeckte bitter und wässrig, doch es löschte den Durst. Dann wandte er sich seinen Freunden zu. »Ist nun wieder mit euch zu reden?«
»Mit mir immer«, sagte Jäcklein und wischte sich Schaum von der Oberlippe.
»Mit mir erst, wenn ich gegessen habe.« Statius schlug mit der Faust rhythmisch auf den Tisch und rief: »Hunger, Hunger, Hunger!«
»Lass es sein«, herrschte ihn Nicolas an. »Die Kleine fürchtet sich vor dir zu Tode.«
»Dann fügt sie sich leichter, wenn ich sie nachher –«Er unterbrach sich, als er den bösen Blick seines Anführers sah. »Ist gut. Ich lass sie. Aber ich wette mit dir um dein Mahl, dass sie schon mehr als ein Dutzend Schwänze in sich hatte.« Er zeigte durch den Innenraum. »Ist doch ein gutes Zubrot für ein hübsches Ding wie sie. Wer weiß, wie