»Eine wahre Wedekind-Tragödie« –
Wie er wurde
»Ein reines Wedekind-Drama« sei ihre Familie, klagt Auguste Kuh Ende 1919 Hermann Bahr ihr Leid.[1] – Welche Rolle verkörpert darin ihr Sohn Anton? Und wer sind die Dramatis personae?
Auguste Kuh, am 22. Januar 1855 in Prag als Tochter des Lederhändlers Baruch Perlsee und dessen Gattin Franziska geboren und seit 24. Dezember 1882 mit Emil Kuh verheiratet, 1885 Umzug nach Wien.
Georg Kuh, ältester (überlebender[2]) Sohn, Jahrgang 1888, studierter Jurist, geht als Bankbeamter Anfang 1914 in die USA, kann dort nicht Fuß fassen und kehrt Mitte 1917 nach Wien zurück.
Anton Kuh, am 12. Juli 1890 geboren, »über dessen ›geistige Manieren‹ man sich [zwar] hie und da in Wien beklagt hat«, aber in den späten 1910er Jahren die »einzige junge Elementarkraft unseres Journalismus«[3].
Margarethe »Grete« Kuh, am 1. September 1891 geboren, im Ersten Weltkrieg freiwillige Krankenpflegerin und ab 1917 »Private«[4].
Marianne »Mizzi« Kuh, geboren am 30. Januar 1894, Krankenschwester, laut Meldezettel: »Private«.[5]
Anna »Nina« Kuh, am 15. Oktober 1897 geboren, die am 20. Juni 1918 bei einer Vernehmung zu Protokoll gibt: »Schulbildung: Volks-, Bürger- u. Handelsschule«, »Beruf und Stellung im Berufe: Keinen«.[6]
Johann »Hans« Kuh, Jahrgang 1895, hat die Szene bereits verlassen, ist als Handelsschulabsolvent und nunmehriger »Kontorist« Anfang 1914 in die USA ausgewandert.
Auch nicht mehr im Spiel: der Vater, Emil Kuh, hinreißender Redner, schlagfertiger, geistreicher Causeur, begnadeter Parodist und Stimmenimitator, an dessen sprudelndem, kaustischem Witz man nur manchesmal »jenen Geist der Suite, den methodische Menschen mehr vorziehen als eine gewisse, an feste Ordnung nicht gebundene Genialität«, vermißt.[7] Ein Jugendfreund attestiert seinen Leitartikeln schmunzelnd den »romantische[n] Idealismus des väterlichen Achtundvierzigertums,[a] durch keine Zahlen- und Sachkenntnis gehemmt«.[8]
Nach dem frühen Tod des Familienerhalters, der am Pfingstsonntag 1912 im 57. Lebensjahr an »Schlagadernverkalkung«[9] verstirbt, scheinen die ohnehin permanent prekären Verhältnisse chronisch desolat geworden zu sein. Mögen die zahlreichen Prager und Wiener Honoratioren, Kollegen und Freunde, die dem langjährigen Redakteur des »Neuen Wiener Tagblatts« am 29. Mai 1912 in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs die letzte Ehre erweisen, für dessen Beliebtheit und Ansehen zeugen – Zählbares hinterläßt er, zeitlebens sorglos im Umgang mit Geld und Gesundheit, seiner Familie nicht.
Das familiale Wedekind-Drama, in dem – das nur nebenbei, aber nicht zu vergessen – Kinder mit ihren Eltern selbstverständlich per Sie verkehren, spielt in den Kulissen der Boheme. Auguste Kuh, von ihrer Tochter Grete als »unbürgerlich« und »alles eher, als was man Hausfrau nannte«, beschrieben, hat zwar keinen Beruf erlernt, ist aber hoch gebildet und verdient sich, »weil sie u. wir nie Geld hatten«, mit Latein-, Griechisch- und Französisch-Nachhilfeunterricht sowie Klavierstunde