: Eberhard Rathgeb
: Zwei Hälften des Lebens. Hegel und Hölderlin. Eine Freundschaft
: Blessing
: 9783641207755
: 1
: CHF 21.50
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 464
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Hegel und Hölderlin kamen 1770 auf eine Welt, die Schwäbisch sprach. Erst im legendären Tübinger Stift lernten sich die beiden angehenden Theologen kennen und schlossen Freundschaft. Jahre später wurden sie Hauslehrer, der eine hier, der andere dort. Von Anfang 1797 bis zum Sommer 1800 konnten sie sich wieder regelmäßiger sehen und über Philosophie, Dichtung und die Liebe reden. Dann liefen ihre Schicksalsbahnen, radikal und unerbittlich, in konträren Richtungen auseinander: Hölderlin, der sein Leben auf die wundersame Poesie setzte, landete als friedlicher Verrückter, der Verse schrieb, in einem Turm in Tübingen, und Hegel, der dem vernünftigen Weltgeist auf die Schulter klopfte, stieg zum gefeierten Berufsphilosophen auf, mit Sitz in Berlin.



Eberhard Rathgeb lebt als Schriftsteller in Norddeutschland. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Berliner Sonntagsausgabe. 2013 erhielt er den aspekte-Literaturpreis für seinen Debütroman 'Kein Paar wie wir'. 2016 erschien bei Blessing sein viel gelobtes Sachbuch 'Am Anfang war Heimat. Auf den Spuren eines deutschen Gefühls'. 2019 folgte 'Zwei Hälften des Lebens. Hegel& Hölderlin. Eine Freundschaft'.

Vorteile der französischen Aufklärung

Im Sommer 1788 fiel die Ernte in Frankreich katastrophal aus, und das Volk dachte, jetzt müsse der König eingreifen, helfen. Der Staat saß auf einem Berg von Schulden und konnte sich kaum mehr bewegen, und der König, LudwigXVI., der dringend Geld brauchte, wurde nervös und wollte es mit allen Mitteln und unter allen Umständen eintreiben lassen. Er mochte nicht darüber verhandeln und diskutieren und umging und beschnitt deshalb die Rechte jener, die ein Wort bei dieser Aktion mitzureden hatten. Darauf kam es zu Protesten derer, die sich übergangen fühlten; Richter, Beamte und Adlige klagten ihre Rechte ein. Eine Gesellschaft, die etwas komplizierter aufgebaut war als ein Stamm, funktionierte nicht ohne Juristen, ohne die Rechtskundigen. Auch die Revolution in Frankreich konnte sich auf diese soziale Gruppe als Kraft, die geltende Gesetze, traditionsreiche Rechte durchzusetzen verstand, verlassen.

Der Dritte Stand der Bürger ohne adeligen Dünkel und ohne theologische Weihe, begann in dieser heiklen Lage nachzudenken, wie der Staat neu organisiert werden könnte. Es ging ihm nicht um partikulare Interessen, deren Durchsetzung bestimmten Berufen oder Ständen zum Vorteil gereicht hätte, sondern um das Wohl der Nation. Die Ausrichtung der Gedanken und Ideen am großen Ganzen, an einer Einheit, die alle Bürger umfasste, wirkte wie ein Weckruf. Die Nation machte den Eindruck eines neu geborenen Wesens, das kraftvoll war und von dem sich nicht sagen ließ, was aus ihm werden würde, und insofern war sie wie geschaffen, um damit Politik gegen die traditionellen Standesinteressen zu organisieren. Unter seiner Heimat konnte sich jeder etwas vorstellen, sein Dorf, eine Landschaft, ein Gebiet, das von Grenzen umfasst wurde und in dem dieselbe Sprache gesprochen wurde. Die Nation dagegen war eine unbekannte Aufgabe, die erst noch gelöst werden musste, eine Zukunft, die in der Gegenwart beginnen konnte. Der König sah ein, dass er im Streit um die verletzten Rechte einlenken musste, und rief aus der Schweiz den Bankier und ehemaligen Finanzminister Frankreichs, Jacques Necker, zu sich. Der Bankier sollte den maroden Staat retten. Er traf im August 1788 in Paris ein.

Die bürgerliche Partei folgte vor allem zwei Rednern, Sieyès und Mirabeau, beide waren Überläufer, ein Geistlicher und ein Adeliger, die sich Gedanken um das Wohl des Ganzen machten. Die Befürworter dieser nationalen Partei waren mit den Ideen der Aufklärung vertraut, durch Lektüre und Gespräche, sie waren mit diesen Ideen groß geworden. Ein intellektuell offenes Elternhaus, ein Salon, wie ihn Madame de Staël, Jacques Neckers Tochter, von Kindheit an gewohnt war, konnte den Lauf der Geschichte vorantreiben. Die fortschrittlichen Geister waren von der neuen politischen Lage nicht überfordert, im Gegenteil, sie waren für die ersten Stadien der Geschichte, die jetzt begann, und für das, was sie selbst dabei zu tun hatten, gut vorbereitet. Sie verfügten über einen zeitlichen Vorsprung dank der neuen Ideen, die sie aufgesogen hatten. Der mit den Gedanken von Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Diderot, Condillac und Condorcet erfüllte Geist war zu der Zeit, bevor die revolutionären Ereignisse das Ruder übernahmen, der Geschichte um einige Schritte voraus.

»Sowie daher die reine Einsicht für das Bewußtsein ist«, heißt es im Kapitel über den Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben in derPhänomenologie des Geistes, »hat sie sich schon verbreitet; der Kampf gegen sie verrät die g