2 JE HÄRTER DIE KINDHEIT, DESTO HÄRTER DIE POLITIK
Landkarten der kindlichen Not
Ich habe Freunde, die ihr Unternehmen verlassen, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, da kann ich nur sagen: Moment mal! Meine Kinder würden mich nicht noch mehr lieben, auch wenn ich fünfzehn Mal mehr Zeit mit ihnen verbringen würde.30
Donald Trump
Nachdem wir uns den autoritären Motor des Rechtspopulismus angesehen haben, müssen wir uns fragen: Wie kommt er unter die Motorhaube? Wie entstehen autoritäre Haltungen und Gesinnungen? Denn wenn das erste Kapitel eines gezeigt hat, dann das: Wenn man die äußeren Bedingungen betrachtet, kommt man dem Rechtspopulismus nicht bei. Welche Einflüsse wir auch betrachten – sei es der Bildungsstand, der Ehestand oder der berufliche Status –, sie können nicht ausreichend erklären, warum der eine bei Pegida mitmarschiert, die andere aber gegen Pegida demonstriert. Tatsächlich können Politikwissenschaftler bis heute keinen »typischen« AfD-Wähler beschreiben – es mag die typische Wählerin der Grünen geben, den typischen Anhänger derFDP oder auch derSPD. Aber vom AfD-Anhänger lässt sich eigentlich nur sagen, dass er wahrscheinlich ein Mann ist. Und ab da wird es richtig bunt – da trifft man auf Arbeitslose, Facharbeiter, ehemaligeDDR-Bürgerrechtler, Altkommunisten, auf Biobauern, hochwohlgeborenen Adel, die ganze gesellschaftliche Besetzung eben.
Die Suche nach dem Wurzelgrund des Rechtspopulismus beginnen wir am besten, indem wir uns zuerst einige Landkarten anschauen. Diese haben es in sich.
Rätselhafte Landkarten in den USA
Die erste Landkarte, auf die ich eingehen will, bildet dieGewalterfahrungenUS-amerikanischer Kinder ab. Und zwar die Gewalterfahrungen, welche die Kinderim Rahmen ihrer Erziehung machen. Wer hier stutzt, sei daran erinnert, dass in denUSA die körperliche Züchtigung von Kindern Teil des normalen erzieherischen Betriebs ist, sie ist nur in einem einzigen Bundesstaat verboten (nämlich in Minnesota, wobei auch da die Auslegung des Gesetzestextes umstritten ist). DieUS-amerikanischen Erwachsenen (die Kinder wurden nicht gefragt) finden das auch mehrheitlich in Ordnung: Bis heute stimmen in repräsentativen Umfragen mehr als siebzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung folgender Aussage zu: »Manchmal ist es nötig, ein Kind mit ein paar guten, harten Schlägen zu disziplinieren.«31 Kein geringerer als Trumps ehemaliger Berater Stephen Bannon, der nach seinem Abgang aus dem Weißen Haus angekündigt hat, den Präsidenten weiterhin zu unterstützen, hält Prügelstrafen für die beste Methode, um Kinder mit psychischen Problemen zu behandeln. Man sollte solchen Kindern einfach öfter den Hintern versohlen: »I’ve got a cure for mental health issue[s]. Spank your children more.«32
Dass das nicht nur ein theoretisches Bekenntnis ist, zeigen die Daten. Werden drei- bis elfjährigeUS-amerikanische Kinder zu ihren Erfahrungen mit Strafen befragt, so geben drei Viertel von ihnen an, dass sie von ihren Eltern geschlagen wurden. Ein Drittel berichtet, dass die Eltern dabei einen Gegenstand verwendet hätten.33
Die Gewalt macht dabei auch vor den ganz Kleinen nicht Halt. In einer repräsentativen Umfrage unterUS-amerikanischen Eltern von Dreijährigen berichtete die Mehrheit der Mütter, ihr Kind mindestens einmal in dem Monat vor dem Interview geschlagen zu haben.34 Diese Statistiken bedeutennicht, um einem möglichen Missverständnis gleich zuvorzukommen, dass in denUSA nicht auch wunderbare Kindheiten möglich sind – sie sind es. Diese Zahlen belegen nur eines: dass viele Kinder in denUSAhäufig, intensiv und systematisch von ihren Eltern geschlagen werden. Oder, wie es der Erziehungswissenschaftler Michael MacKenzie von der Columbia-Universität ausdrückt: »Spanking remains a typical rearing experience for American children.« Bei amerikanischen Kindern stellen Schläge also nach wie vor eine »typische Erziehungspraxis« dar.
Wobei hier zu ergänzen wäre, dass in den