Einleitung
Der 21. Januar 1793, der Tag, an dem König LudwigXVI. von Frankreich zum Schafott auf der heutigenPlace de la Concordegebracht wurde, war kalt und neblig. Mehr als 100000 Soldaten säumten die verschneiten Straßen der französischen Hauptstadt. Die Wagenkolonne mit dem Verurteilten brauchte beinahe zwei Stunden für die dreieinhalb Kilometer lange Strecke von Ludwigs Gefängnis imTour de Temple. Als man die Hinrichtungsstätte erreicht hatte, stieg der entthronte Monarch aus der Kutsche, legte den Mantel ab und knöpfte den Kragen seines Hemdes auf. Da der Weg zur Guillotine rutschig war, stützte er sich zunächst auf den Arm seines Beichtvaters, des irischstämmigen Abbé Henry Edgeworth, erklomm die Stufen dann jedoch allein. Vom Schafott aus wandte sich der König, der vom Nationalkonvent wegen Landesverrats zum Tode verurteilt worden war, an die riesige Menschenmenge, beteuerte seine Unschuld und vergab seinen Feinden. Doch ein von General Antoine Santerre, dem Kommandanten der Nationalgarde, befohlener Trommelwirbel übertönte seine letzten Worte. Dann packten die Scharfrichter den Bourbonen und zwangen ihn unter das Fallbeil. Der kräftige Nacken des Verurteilten passte allerdings nicht richtig in die vorgesehene Aussparung im Richtblock, und so verlief die Hinrichtung unsauber und sehr blutig. Als der Henker das abgetrennteHaupt endlich hochhielt, brachen bei einigen der Umstehenden alle Dämme: Ein paar Gaffer kosteten vondem verspritzten Blut des Königs und stritten über seinen Geschmack, andere tauchten ihre Hände hinein, und so viele wollten Taschentücher oder Briefumschläge damit benetzen, dass der Scharfrichter schließlich einen Eimer voll Blut bereitstellte. Neun Monate später wurde an gleicher Stelle die Witwe des Königs, Marie Antoinette, enthauptet. Als das Beil fiel, ertönte auch bei dieser Gelegenheit der Ruf: »Es lebe die Republik!«1
Aus monarchischer Sicht hätte das lange 19. Jahrhundert, das sich von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erstreckte, kaum apokalyptischer beginnen können. Für viele Zeitgenossen und Nachgeborene war die juristisch sanktionierte, öffentliche Tötung eines gesalbten Monarchen eine so empörende Untat, dass durch sie eine uralte Weltordnung für immer verloren schien. Einige verzweifelte Zeitgenossen wurden durch die Nachricht von Ludwigs Enthauptung in tiefe seelische Abgründe gestürzt, sodass es Berichten zufolge zu Selbstmorden und Fällen von plötzlicher Geisteskrankheit kam. Noch im 20. Jahrhundert bedauerte der französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus die Hinrichtung des Königs, denn sie erschien ihm, so Susan Dunn, als »die irreversible Zerstörung einer Welt, die sich für ein Jahrtausend an eine heilige Ordnung gehalten hatte«. Der 21. Januar 1793 bedeutete für Camus den dauerhaften Verlust eines moralischen, von einem transzendenten Gott sanktionierten Kodex.2
Angesichts dieses blutigen Auftakts zum langen 19. Jahrhundert hätte wohl kein Mitglied des eng miteinander verwobenen Netzwerks europäischer Herrscherfamilien sich an jenem düsteren Wintertag träumen lassen, welch farbenfrohe monarchische Spektakel 120 Jahre später in Berlin und Braunschweig veranstaltet werden sollten. Im Frühsommer 1913 gab sich nämlich in der deutschen Hauptstadt das dynastische Europa ein prachtvolles Stelldichein – nunmehr vor den Linsen von Filmkameras, die den festlichen Augenblick für alle Zeiten in bewegten Bildern festhielten. Man wa