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Etwas fehlte.
Es dauerte eine Weile, bis Sergent Erik Zejn merkte, was er vermisste – im Allgemeinen war es einfacher, Dinge zu finden, die da waren statt verschwunden.
Prüfend sog er die Landluft ein. Der Geruch nach Baumharz, feuchter Erde und Ziegendung wirkte fremd in seiner Nase.
Wo blieben der Unrat, den die Menschen aus den Fenstern zu kippen pflegten, der Urin an den Straßenecken, der Opiumrauch, die pestgebeutelten Bettler und parfümierten Schnösel? Aus dem Hügelgewirr der Vorlande war auch das Meer bloß eine Ahnung am Horizont, seine salzigen Winde und der vertraute Gestank pechbestrichener Schiffsplanken kaum mehr als eine Erinnerung.
Das Fehlen all jener Gerüche machte dem Sergent erneut bewusst, mit welch trügerischer Absicht man ihn nach Svonnheim versetzt hatte.
»Nett hier, nicht?«, flötete der Gardist, der ihn im Dorf herumführte. »Ruhig, idyllisch. In Svonnheim passiert recht wenig.«
Zejn maß seinen Stellvertreter mit einem Seitenblick. Seit sich Untergrundorganisationen zu einer Gilde zusammengeschlossen hatten, blühte in der Hauptstadt die Kriminalität. Jeder verfügbare Soldat sollte in Tradea eingesetzt werden –gerade Männer mit Zejns Fähigkeiten. Stattdessen hatte man ihn ins Vorland versetzt, auf einen Posten, auf dem der vorige Sergent an Altersschwäche verstorben war.Altersschwäche! Bei Soldaten passierte das nur den Besten oder Schlechtesten, und Zejn konnte sich nicht vorstellen, dass Sergent Besson zur ersten Sorte gehört hatte.
Sein Begleiter wies auf eine windschiefe Hütte, über deren Tor ein Schild hing, auf das eine Möhre gemalt war. »… dieGelbe Rübe, die hiesige Schenke. Gutes Bier. Den Wein kann man vergessen. Aber wer ein bisschen Unterhaltung benötigt … Die dicke Inge macht’s dir für ’nen Kopper.« Der Gardist – sein Name war Barthell – lachte mit dicken Pausbacken. Er war jünger als Zejn selbst, er schätzte ihn auf vielleicht Ende zwanzig. Irgendwann mochte er mal gut ausgesehen haben, doch der Müßiggang hatte ihm einen Wohlstandsbauch beschert. Zejn störte es ungemein, dass Barthells Bart getrimmt gehörte und die Tunika befleckt und zerknittert war. In seinen Gürtel waren zusätzliche Löcher geschnitten worden, damit Barthell ihn schließen konnte.
So etwas war Zejn noch nie untergekommen. Ein Soldat repräsentierte nicht bloß die Garde, der er diente, sondern auch sein Königshaus. Daher pflegte Zejn seinen Bart regelmäßig zu stutzen, die Wangen zu rasieren und sein blondes Haar zu kürzen. Ordentliche Kleidung stand für Verlässlichkeit und Disziplin. Und Zejn schloss aus Barthells Auftreten, dass es ihm an beidem mangelte.
»Stammen Sie aus Tradea, Sergent?« Barthell sprach den GardetitelSerschoh aus, was verriet, dass seine Familie der alten Landessprache mächtig war.
Zejn schüttelte den Kopf.
»Woher dann?«
»Weinberg.«
»Wo liegt das?«
»Im Osten.«
»Und wie sind Sie nach Tradea gekommen?«
»Durch die Garde.«
Barthell wartete auf weitere Ausführungen, während sie im Dorf eine Runde zogen. Ihre Stiefel stanzten Spuren in den feuchten Boden. Als keine Erläuterung folgte, blies der Jüngere die Backen auf und wies auf einen Vorplatz, der durchaus als ausgetrampelte Verbreiterung des Gehwegs durchgehen konnte.
»Hier sehen Sie den Marktplatz. Am Tag des Travis kommen die Leute aus der Gegend zusammen, um hier Waren auszutauschen.«
»Heuteist der Tag des Travis.«
»Sag ich ja.«
Zejn rümpfte die Nase angesichts der Handvoll Menschen, die zwischen den Hütten umherstreunten. Selbst des Nachts war in einer Hintergasse Tradeas mehr los als hier. Der Nebelschleier, der von den angrenzenden Wäldern ins Dorf kroch, dämpfte die Geräusche. Auf dem Land war es so verdammt still, dass Zejns Herzschlag ihn aus dem Schlaf weckte.
»Bethe bringt ihr