Die Uhr zeigte gerade erst zehn, doch die Luft im »Café Krümel« war bereits rauchgeschwängert. Birgit Meyer versuchte, die Rauchschwaden wegzufächern, und sagte fast vorwurfsvoll zu ihrer Freundin:
»Daß du hier arbeiten kannst, Kim. Und daß die Leute bei dieser Luft hier überhaupt noch Lust auf ein Frühstück haben.«
»Man gewöhnt sich daran, und außerdem, schau’ dich einmal um. Alle Tische sind belegt. Das ›Krümel‹ ist nach wie vor das beliebteste Studentencafé im Viertel.« Kim lächelte.
»Das muß an deinem Lächeln liegen, Kim. Anders kann ich mir das nicht erklären«, sagte Birgit und grinste schief. Dann sah sie die Freundin ernst an. Keine Frage, die fast bodenlange weiße Schürze stand Kim ausgezeichnet. Sie betonte ihre schlanke Figur, und Kim hatte wirklich ein gewinnendes Lächeln. Ihre strahlend blauen Augen blickten lebhaft unter blonden Ponyfransen hervor.
»Du weißt, warum ich hier bin…«, begann Birgit zögernd.
»Ja«, kam die gedehnte Antwort.
»Erst schmeißt du die Ausbildung, und jetzt willst du dein Studium an den Nagel hängen. Möchtest du dein Leben lang in einer Studentenkneipe jobben?« Birgit war ernstlich besorgt um die jüngere Freundin. Sie hatte an der Theke Platz genommen und schaute Kim dabei zu, wie sie Tassen und Kännchen mit Kaffee füllte, belegte Brötchen mit Gurkenscheiben verzierte und in kleine Glasschälchen eine rote Marmelade füllte.
»Mach’ dir ’mal nicht zuviel Sorgen um mich, Biggi«, versuchte Kim der Freundin den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Nenn’ mich bitte nicht Biggi. Du weißt, wie ich den Namen hasse.«
Kim schmunzelte spitzbübisch. Dann wurde sie wieder ernst.
»Das Studium ist nichts für mich. Hätte ich geahnt, daß Ernährungswissenschaft so viel mit Chemie zu tun hat, hätte ich erst gar nicht angefangen«, erklärte sie.
»Dafür gibt es die Studienberatung«, murmelte Birgit kaum hörbar.
»Na ja«, fuhr Kim fort, »warum ich die Ausbildung zur Diätassistentin abgebrochen habe, weißt du ja.«
»Ja, das weiß ich. Es war an einem Montagmorgen, und Kim Meißner sollte dreißig Liter Diätpudding anrühren. Da hatte sie auf einmal das Gefühl, ihr Leben würde an ihr vorüberziehen.« Birgit hatte in einem ironischen Tonfall gesprochen. Doch Kim ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Stimmt genau«, antwortete sie und sah die Freundin trotzig an. Bevor Birgit weitere Einwände erheben konnte, marschierte Kim mit einem hoch beladenen Tablett davon. Birgit nahm eine Tageszeitung zur Hand und blätterte darin. Dann studierte sie die Stellenanzeigen. Sie war etwas verstimmt. Kim war ihre beste Freundin, aber in punkto Lebensplanung waren sie grundverschieden. Nie wäre es Birgit eingefallen, einfach etwas aufzugeben, wenn man nichts Neues in Aussicht hatte. Als Kim kurz darauf wieder zur Stelle war, wollte die Freundin erneut in sie dringen, doch unerwartet war Kims Chef aufgetaucht und schaute sich prüfend in seinem Café um.
»Wie läuft es, Frau Meißner?«
»Gut«, antwortete Kim und machte sich daran, Orangen auszupressen.
Herr Vogt hatte schlechte Laune, und mit einem »gut« wollte er sich nicht begnügen. Mit einem Blick hatte er gesehen, daß an vielen Tischen noch nicht serviert worden war. Die Kunden schien das nicht weiter zu stören, denn die meisten waren in Gespräche vertieft. Herr Vogt glaubte hingegen, an diesem Tatbestand die mangelhafte Organisation seiner Kellnerin zu erkennen.
»Das Tempo scheinen Sie nicht erfunden zu haben, Frau Meißner. Alle Tische belegt, aber die wenigsten Gäste haben etwas darauf.«
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