6.
Bis zur Ankunft des Polizeihundes begann Schelga, das Sommerhäuschen, vom Dachboden angefangen, zu durchsuchen.
Überall lag Mist herum, zerbrochenes Glas, Tapetenfetzen. Die Fenster waren von Spinnweben durchzogen, in den Zimmerecken gab es sogar junge Schwämme, die aus dem Boden sprossen. Das Sommerhaus war scheinbar noch vom Jahre 1918 her verlassen. In jüngster Zeit bewohnt erwiesen sich nur die Küche und das Zimmer mit dem eisernen Bett.
Hier hat man zweifellos nicht gewohnt, sondern man ist nur hergekommen, um etwas zu tun, was man verstecken, verheimlichen musste. Dies war der erste Eindruck, den Schelga von dieser Durchsuchung gewonnen hatte. Die Durchsuchung der Küche zeigte, dass man sich hier scheinbar mit irgendwelchen chemischen Experimenten befasst hatte. Schelga fand in den Zinkkisten eine große Menge von Holzkohle, Schwefel und Aluminiumpulver, Eisenoxyd, Natrium, gelben Phosphor. Einige Substanzen konnte er nicht feststellen. Während er die Aschenhäufchen überprüfte, die auf dem Herd lagen, wo scheinbar diese chemischen Experimente durchgeführt worden waren, blätterte er ein paar Hefte über anorganische Chemie durch, deren verschiedene Seiten eingebogen waren, – konnte er eine zweite Tatsache feststellen: Der Ermordete hatte sich durchaus mit harmlosen pyrotechnischen Experimenten beschäftigt. Schelga wurde verlegen. Noch einmal durchsuchte er die Kleider des Ermordeten, aber er konnte nichts Neues entdecken. Dann überlegte er die ganze Sache von einem anderen Standpunkt aus: die Fußspuren unter den Fenstern bewiesen, dass die beiden Mörder, die Außentreppe umgehend, durch das Zimmer eingedrungen waren, wo sie doch zweifellos riskieren mussten, auf Widerstand zu stoßen, da der Mann in dem Sommerhäuschen den Lärm des Fortreißens der Fensterläden doch unmöglich überhören konnte.
Daraus ging hervor, dass es den Mördern darum zu tun war, etwas ganz besonders Wichtiges in die Hände zu bekommen – oder den Mann im Sommerhaus um jeden Preis zu töten.
Ferner: nimmt man an, sie wollten ihn aber einfach nur töten, so wäre die ganze Sache viel leichter anzulegen gewesen, man hätte ihm z. B. nur auf dem Wege ins Sommerhäuschen auflauern brauchen, ohne Lärm und Widerstand zu riskieren. Zweitens bewies die Lage, in der der Ermordete aufgefunden worden war, dass man ihn gefoltert hatte. Man hatte ihn mit einer Zigarre angebrannt, die Hände aus den Gelenken gerenkt, auch erstochen wurde er nicht sofort, man brachte ihm viele Stichwunden bei. Die Mörder hatten also von ihm scheinbar etwas erfahren wollen, was er ihnen nicht sagen wollte.
Was aber wollten sie von ihm erzwingen? Geld? Es ist schwer anzunehmen, dass ein Mensch, der sich nachts in ein so verlassenes Haus im Walde begibt, viel Geld bei sich trägt. Eher wäre denkbar, die Mörder wollten ihm irgend ein Geheimnis abringen, das mit der nächtlichen Tätigkeit des Ermordeten irgendwie in Zusammenhang stand.
Aus diesem Grunde entschloss sich Schelga, nochmals die Küche gründlich zu durchsuchen. Er rückte die Kasten von der Mauer weg und entdeckte eine große, quadratische Kellerluke, wie man sie in Sommerhäuschen oft direkt unter der Küche einzurichten pflegt. Taraschkin zündete einen Kerzenstummel an und legte sich auf den Bauch, um diesen Kellerraum zu beleuchten, wohin Schelga vorsichtig über eine morsche Treppe gekrochen war.
»Kommen Sie mit der Kerze herunter«, sagte Schelga, »hier hat er sein wirkliches Laboratorium gehabt.«
Das Kellergeschoss nahm ungefähr den ganzen Raum unter dem Sommerhäuschen ein. An den Ziegelwänden standen auf Böcken, mit Brettern, improvisiert einige Tische, Gasballons, ein kleiner Motor mit Dynamo, Glasbäder, wie man sie in der Elektrolyse zu verwenden pflegt, Schlosserinstrumente und auf allen Tischen – Aschenhäufchen. Unter dem Plafond hing eine große Petroleumlampe.
»Hier haben sie gearbeitet!« sagte Schelga, mit einem gewissen Unverständnis dicke Holzbarren und Eisenplatten betrachtend, die an der einen Kellerwand aufgestellt waren. Diese Barren und Platten waren an verschiedenen Stellen durchbohrt, manche sogar in zwei Teile zerschnitten, die Schnitt- und Bohrstellen schienen ein wenig angebrannt zu sein.
In einem aufrecht stehenden Eichenbrett war der Durchmesser der durchbohrten Stelle ein Zehntel Millimeter stark, als hätte man das Brett mit einer dünnen Nadel durchbohrt. In der Mitte des Brettes war in altrussischer Schrift mit großen Buchstaben durch solche Bohrstiche gezeichnet:
P. P. GARIN
Schelga drehte das Brett um: auf der rückwärtigen Seite sah er den vollkommenen Durchstich dieser Buchstaben: mit irgend einem unbegreiflichen Instrument war das über drei Zoll dicke Eichenbrett durchstochen – oder durchgebrannt worden.
»Teufel noch ’mal«, fauchte Schelga, »nein, P. P. Garin hat sich hier nicht mit Pyrotechnik beschäftigt!«
»Und was soll das sein, Wassilij Vitaljewitsch?« fragte Taraschkin und wies auf ein ungefähr anderthalb Zoll hohes Kohlenpyramidchen, das aus irgend einem Material gepresst zu sein schien.
»Wo haben Sie das gefunden?«
»Hier haben sie eine volle Kiste mit solchen Dingen!«
Nachdem Schelga das Pyramidchen in den Händen herumgedreht und daran gerochen hatte, stellte er es an den Rand des Tisches, steckte von der Seite ein angezündetes Streichholz hinein und zog sich in die entfernteste Ecke des Kellers zurück. Das Streichhölzchen brannte bis zu Ende, dann loderte das Pyramidchen in blendend weiß-blauem Lichte auf, brannte fünf Minuten und einige Sekunden, ohne Ruß, fast geruchlos.
»Ich empfehle, solche Experimente nicht zu wiederholen«, sagte Schelga. »Erstens könnten sich solche Pyramidchen als stark explosibel oder gar als Gaskerzen erweisen. In diesem Falle würden wir den Keller schwerlich noch einmal verlassen können. Sehr gut – also, was haben wir erfahren? Versuchen wir, das festzuhalten: erstens, bei diesem Mord handelt es sich weder um Rache, noch um Raub. Zweitens stellen wir den Familiennamen des Ermordeten fest: P. P. Garin. Das ist bis jetzt alles. Sie wollen erwidern, Genosse Taraschkin, dass P. P. Garin vielleicht derjenige ist, der...