: Mina Teichert
: Neben der Spur, aber auf dem Weg Warum ADS und ADHS nicht das Ende der Welt sind
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783959101127
: 1
: CHF 12.20
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 288
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tollpatschig, verträumt, chaotisch - so wird Mina als Kind von ihrer Umwelt wahrgenommen. Doch je älter sie wird, desto mehr überfordert sie ihr Alltag durch die allgegenwärtige Reizüberflutung. Schließlich bekommt sie die Diagnose, die ihre Zukunft verändert: Mina hat ADS - und mit einem Mal kann ihr geholfen werden. Feinfühlig, authentisch und mit bewundernswertem Witz berichtet Mina Teichert von kleinen Krisen, Missgeschicken und Einschränkungen, mit denen sie leben muss, aber auch von ihrer bunten, verrückten Sicht auf die Welt. Mina Teichert gibt einen Einblick in die Krankheitsbilder ADS und ADHS, erklärt, warum eine solche Diagnose gerade bei Mädchen häufig sehr spät gestellt wird welche Therapieformen es gibt und wie man mit ADS im Erwachsenenalter umgehen kann. Ihr Buch beantwortet nicht nur viele Fragen rund um eine der häufigsten Volkskrankheiten unserer Zeit, sondern zeigt vor allem, dass auch mit ADS und ADHS ein erfülltes Leben möglich ist. Eine unverzichtbare Hilfestellung für Eltern, deren Kinder betroffen sind!

Mina Teichert wurde 1978 in Bremen geboren. Sie war mehrere Jahre erfolgreich als Fotografin tätig, bevor sie über Umwege zum Schreiben kam. Heute ist sie hauptberuflich Autorin und kann auf mehrere Veröffentlichungen, darunter der Spiegel-Bestseller 'Neben der Spur, aber auf dem Weg', zurückblicken. Mit ihrem Mann und ihrer 16-jährigen Tochter lebt sie auf dem Land.

Prolog


Mit angespannten Gliedern saß ich im Sprechzimmer meines Hausarztes Dr. Wendt und wartete. In Gedanken ging ich wieder und wieder die letzten Stunden durch und grübelte. Was war passiert?

Ich war einkaufen gewesen: rein in den Laden, leicht angespannt. Raus aus dem Laden, vollkommen aufgelöst. Wie konnte es sein, dass mich etwas so Simples wie die Nahrungsmittelbeschaffung in solch eine Lage gebracht hatte? Schwitzen, erhöhter Puls und Gereiztheit waren ja eine Sache. Aber das, was mir eben geschehen war, eine ganz andere.

Mein Mund wurde trocken, und ich schluckte gegen Tränen der Scham an. Ich hatte mich tatsächlich vollgepinkelt, vollgepisst. Wie bei einem Kleinkind oder Mamas Pudel, wenn er sich freut, war es nass und warm an meinen Beinen heruntergelaufen. Himmelherrgottnocheins!

Der Auslöser? Der genervte Blick einer hageren Kassiererin an der Kasse, nachdem ich ihr aus Versehen meine Krankenkassenkarte und anschließend den Personalausweis anstelle der EC-Karte gegeben hatte. Oder redete ich mir das nur ein, und es gab eigentlich gar keinen Auslöser? Hatte ich vielleicht einfach nur vergessen, wie man es rechtzeitig auf die Toilette schafft?

Endlich schwang die Tür in meinem Rücken auf, und der Arzt, den ich seit einigen Jahren wegen andauernder Kopfimplosionen konsultierte, betrat den Behandlungsraum. Er sah besorgt aus oder eher angespannt, und ich spürte sofort, wie meine Hände wieder feucht wurden. Mist.

»So, Wilhelmina. Ich hatte mir ja bereits Ihre Akte von meinem Vorgänger, Ihrem Kinderarzt Dr. Eckhard, zukommen lassen«, sagte er zur Begrüßung und schob seine Brille höher auf die Nasenwurzel. Einen Moment lang wirkte er so unschlüssig, wie ich mich fühlte.

Ich konnte mich nämlich gerade nicht entscheiden, ob ich wütend oder verängstigt war oder einfach Schmerzen hatte. Es kam oft vor, dass ich meine hübschen Missempfindungen nicht auseinanderhalten konnte, denn Schmerzen hatte ich mittlerweile oft. Etwa 24 Stunden am Tag.

»Ja und?«, fragte ich also den Arzt und ergriff seine Hand, die er mir entgegenhielt, ohne mich wirklich anzusehen. »Bin ich jetzt neuerdings inkontinent? Mit 24?«

Er setzte sich mir gegenüber, breitete Papiere auf dem wuchtigen Tisch zwischen uns aus und faltete anschließend seine Hände wie zum Gebet. »Nein«, sagte er gedehnt. Seine dunkelblonden Haare fielen ihm leicht in die Stirn, während er mich eindringlich musterte, und ich wurde rot. Ich hasste es, wenn man mich so anschaute. »Mit Ihrer Blase ist alles in Ordnung, da bin ich mir sicher«, unterstrich er.

Na toll.

»Und was ist mir dann gerade eben passiert?«, wollte ich eine Erklärung für das Unfassbare haben.

»Das Problem ist nicht physischer Natur«, antwortete er und begann, mich mit seiner Ruhe wahnsinnig zu machen. Verdammt, konnte er nicht einfach ausspucken, was er dachte? Hinter dem Arzt prasselte Regen an die Fensterscheibe. Die ersten Tropfen malten ein eigenwilliges Muster auf das vom Pollenflug verschmutzte Glas, und ich musste gegen den Drang ankämpfen, aufzustehen und es mit dem Finger nachzuzeichnen.

»Das sagten Sie auch zu meinen Kopfschmerzen«, antwortete ich irgendwann mit piepsiger Stimme.

»Ja eben.«

Mein rechtes Bein, das ich über das andere geschlagen hatte, begann zu zapp