: Wilfried Feichtinger, Eva Stanzl
: Kinderwunsch und Lebensplan Chancen und Grenzen der Reproduktionsmedizin: ein Ratgeber
: Verlag Orac im Kremayr& Scheriau Verlag
: 9783701506071
: 1
: CHF 8.70
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: Schwangerschaft, Geburt, Säuglinge
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Erst Kinder, dann Karriere? Immer mehr Paare verschieben das Kinderkriegen auf später. Dass 'später' oft aber 'zu spät' sein kann, ist vielen nicht klar - und die biologische Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Dr. Wilfried Feichtinger, international renommierter Reproduktionsmediziner, und die Wissenschaftsjournalistin Eva Stanzl gehen Gründen für Kinderlosigkeit auf den Grund und erläutern im Detail und medizinisch fundiert, was die Reproduktionsmedizin heute leisten kann - und was nicht. Dabei lautet die zentrale Aussage doch: Wer sich für Kinder entschieden hat, sollte schon früh über Familienplanung nachdenken.

Wilfried Feichtinger, geboren 1950, ist Geschäftsführer des Wiener Instituts 'Wunschbaby-Zentrum - Institut für Kinderwunsch' und gehört zu den weltweit führenden Reproduktionsmedizinern. 1982 wurde das erste IVF-Baby Österreichs an seiner Klinik geboren, 1990 erfand er eine laserunterstützte 'Schlüpfhilfe' zur leichteren Eizellen-Einnistung der befruchteten Eizelle. 2005 führte er die erste erfolgreiche Präimplantationsdiagnostik gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger durch. 2018 Erweiterung Genetiklabor, Etablierung der personalisierten IVF. Eva Stanzl, geboren 1969, ist Redakteurin für Wissenschaft und Forschung im Feuilleton der 'Wiener Zeitung' und Vorstandsvorsitzende des Klubs der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen in Österreich. Zuvor war sie Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalistin bei 'Der Standard' und 'Die Wirtschaft'. Eva Stanzl studierte Englische Literatur und Philosophie an der Universität Bristol in Großbritannien sowie Kulturmanagement in Wien. Sie 2006 erhielt sie den Österreichischen Zeitschriftenpreis.

Kapitel 2


Warum wir planen müssen, was wir nicht planen können


Gesellschaftliche Gründe, warum wir immer später Kinder kriegen


Dass Schwester Maria eine »alte« Erstgebärende sei, fand eigentlich nur ihr Arzt. Man schrieb das Jahr 1956 und Tante Mitzi, die Großtante der Autorin, war Krankenschwester auf der Kinderstation in einem Spital in Wien. »Ich hatte so viele Kinder um mich, dass ich dachte, ich brauche kein eigenes«, erzählt Tante Mitzi. Unerwartet wurde sie mit 36 Jahren dann doch schwanger, ihr Ehemann war damals 39 Jahre alt. »Ich habe mich irrsinnig gefreut«, sagt sie, und: »Außerdem habe ich mich ja noch jung gefühlt, ich war gut beisammen, habe jünger ausgeschaut und war sportlich – den Dachstein bin ich zu Fuß hinaufgegangen. Nur der Arzt hat vor der Entbindung gesagt: ›Das ist eine alte Erstgebärende, da dauert die Geburt sowieso lang‹, und er ließ mich warten, obwohl ich bereits die Wehen hatte – ich war ganz entsetzt.«

»Älter« fühlte sich Tante Mitzi auch später, »weil die anderen Mütter, die ihre Töchter in die Schule brachten, alle viel jünger waren«. In den 1950er-Jahren hatten die meisten Frauen im Alter von 35 Jahren längst Kinder. Kinder in die Welt zu setzen war etwas Natürliches, schlimmstenfalls eine Pflicht, der Lauf der Dinge und eine Station im Leben. Wenn wir den Erzählungen unserer Eltern, Großeltern, Großtanten und Großonkel Glauben schenken, warteten die wenigsten Paare so lange, bis das Kinderkriegen zum »Kinderwunsch« reifte, obwohl damals vielleicht ebenso viele gewünschte Kinder auf die Welt kamen wie heute. Und ebenso viele ungewünschte.

Anfang der 1950er-Jahre war die Anti-Baby-Pille noch nicht auf dem Markt, und Abtreibungen waren nach § 96 in Österreich (§ 218 in Deutschland) verboten. Auch war der Tagesablauf etwas anders als heute. In der Nachkriegszeit hatte kaum jemand Fernsehen, und mangels Geld gingen die Menschen nur selten aus. Es darf also nicht wundern, wenn Liebespaare vielleicht öfter als heute gemeinsam unter der Tuchent landeten. »Viele Kinder entstanden als Begleiterscheinung mangelnder Freizeitalternativen oder sogar aus Langeweile«, erinnert sich Werner, der Vater der Autorin, geboren 1941. Die Familie genoss einen hohen