1. KAPITEL
Tasha Lowell schreckte hoch, als jemand laut an die Tür ihrer Wohneinheit in den Personalunterkünften des Whiskey Bay Jachthafens klopfte. Es war Mitternacht, und sie hatte kaum eine Stunde geschlafen.
„Tasha?“ Die Stimme von Matt Emerson, dem Besitzer des Jachthafens, weckte sie endgültig auf. Tasha hatte von ihm geträumt.
„Was ist los?“, fragte sie, vom Schlaf noch ganz heiser und leise. Wahrscheinlich hatte er ihre Stimme gar nicht gehört. „Was?“, rief sie lauter und stieg aus dem Bett.
„Die ‚Orca’s Run‘ hatte vor Tyree in Oregon eine Panne.“
„Was ist passiert?“, fragte sie automatisch und ging barfuß zur Tür. Eine alberne Frage. Matt Emerson – wohlhabend und weltgewandt – konnte wahrscheinlich nicht einmal eine Einspritzpumpe von einer Lichtmaschine unterscheiden. Sie öffnete die Tür und stand dem Hauptdarsteller ihres Traums gegenüber. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass dieser Traum nicht gerade jugendfrei gewesen war.
„Der Motor ist ausgefallen. Laut Captain Johansson liegen sie in der Bucht vor Anker.“
Das war gar nicht gut. Tasha war erst seit knapp zwei Wochen die Chefmechanikerin des Whiskey Bay Jachthafens, und Matt hatte gezögert, sie überhaupt zu befördern. Es war sein gutes Recht, sie dafür verantwortlich zu machen, wenn mit dem Motor der „Orca’s Run“ etwas nicht stimmte.
„Ich habe den Motor kurz vor der Abfahrt noch gewartet.“ Dieser Kunde war besonders wichtig für die Firma, das wusste sie. Die „Orca’s Run“ war mit knapp dreißig Metern Länge Matts zweitgrößte Jacht, und sie war von Hans Reinstädt gechartert worden, einem einflussreichen Geschäftsmann aus München. Für die Firma wäre es eine Katastrophe, wenn der Aufenthalt der Reinstädts dadurch getrübt würde und sie möglicherweise ihren Freunden davon erzählten.
Tasha zog sich schnell eine Bluse und Cargo-Hosen an, ohne vorher ihren Pyjama auszuziehen, und setzte dann eine Baseball-Kappe auf. Dreißig Sekunden später hatte sie auch Socken und Arbeitsstiefel angezogen und war fertig.
Matt starrte sie perplex an. „Das war’s?“
„Was?“ Sie verstand die Frage nicht.
„Du musst dich nicht weiter fertig machen?“
Sie sah an sich hinunter und schaute dann zurück in ihr Zimmer. „Ich bin fertig.“ Alles, was sie brauchte, war in den Reißverschlusstaschen ihrer Hose verstaut.
Er lächelte schief. „Na dann los.“
„Was ist so lustig?“, fragte sie und ging neben ihm her.
„Nichts.“
Sie liefen den Steg zum Pier des Whiskey Bay Jachthafens hinunter.
„Du lachst doch über irgendetwas.“
„Nein, überhaupt nicht.“
„Du lachst über mich.“
„Ich lächle. Das ist nicht dasselbe.“