Mittwoch, 23. September
KALAMAKI | Südküste Kreta
Zwei Tage hatte Bernd Bonde noch. Zwei von diesen wunderbaren immer gleichen Tagen. Morgens, nach dem Aufwachen, fiel sein erster Blick aus dem Fenster auf die noch tief stehende Sonne hinter den Bergen, die wie in Aquarellfarben getaucht vor ihm lagen. Er schlief nicht lange an diesen Tagen, zu viel ging ihm durch den Kopf, aber der Blick entschädigte für vieles. Früher Vogel fängt den Wurm? Hier waren es eher die berauschenden Farben, die ihn gefangen nahmen, wenn die Sonne tief über Kretas silberschimmernden Olivenhainen hing. Und die rostroten Lehmhänge in grellen Flammen explodierten.
Den ersten Kaffee nahm er auf der kleinen Dachterrasse, von der aus man bis in die Bucht sehen konnte, direkt auf das Hinterteil von Nepomuk. So hatten irgendwann mal Urlauber die kleine Inselgruppe getauft, zwei im eigenen Windschatten liegende, karge und unbewohnte Felshügel mitten im Meer. Von Land aus sahen die manchmal aus wie das Nilpferd aus dem Kinderbuch mit seinen kleinen Ohren, das im Wasser liegt und sich den müden Bauch umspülen lässt.
Irgendwann dann mit dem Wagen zum Strand. Er hätte den Weg auch laufen können. Zweieinhalb Kilometer, das war zu schaffen. Und es hätte seiner Fitness sicher gutgetan. Aber wer wollte das schon bei diesen Temperaturen. Ende September kletterte das Thermometer hier in der Sonne noch immer auf fast 30 Grad. Also lieber schlecht gefahren als fit gelaufen.
Am Wasser orientierte er sich meistens zum Nacktbadestrand. Ein bisschen was fürs Auge konnte nicht schaden und lenkte ab. Ein paar junge und nett anzusehende Mütter waren immer da mit ihren Kleinen, die zu Hause in Deutschland noch nicht in die Schule mussten. Nur gucken, nicht anfassen. Mehr brauchte er gar nicht, Hauptsache Ruhe. Mit der frühen Abendsonne ging’s dann zurück zu seinem kleinen Haus auf dem Hügel. Keine Nachbarn weit und breit, ein paar Züge im kleinen Swimmingpool, danach ein Gläschen Rosé und ein paar Oliven zum Sonnenuntergang.
Seit elf Tagen genoss er das nun schon. An sein Handy ging er seit Bremen nicht mehr, die Mails hatte er nur in den ersten Tagen noch gecheckt. Seitdem lagen Handy und iPad unberührt neben dem Bett. Zu Hause hatten die Journalisten ihn noch bestürmt. »Sie müssen was sagen«, forderten sie, »was war da los?« Einer war besonders dreist. Der Schmierfink für die fettesten und fiesesten Balkenüberschriften hatte ihm regelrecht aufgelauert und gedroht. »Sie haben die Wahl, mit uns zu reden oder nicht. Wir können auch anders.« Das war glatte Nötigung. Aber so waren sie. Doch er ließ sich nicht einschüchtern. Mit ihm nicht.
Als er nicht mehr ans Telefon gegangen war und kaum noch aus dem Haus, bedrängten sie ihn per SMS oder Mail und baten mit guten Worten um einen Rückruf. Sogar hier im Urlaub. Es ist immer das Gleiche, dachte er. Erst versuchen die Schreiberlinge es mit einem Honorar, dann mit Schmeicheleien, dann mit Druck. Er als Mensch war ihnen dabei völlig egal. Es ging allein um eine gute Geschichte, und die heiligte alle Mittel. Die Währung, die zählte, waren Auflage, Quoten und neuerdings auch Klicks. Wenn man vorne liegen wollte vor der Konkurrenz, musste man besser sein. Oder jedenfalls schneller und skrupelloser. Dahinter verschwammen Einzelschicksale allzu schnell zu einer breiigen Masse. Schreibtischtäter, dachte er.
Niemand interessierte sich wirklich für ihn. Für seine Motive, seine Nöte. Oder Reue. Es ging darum, was er gemacht hatte. Ihm aber bislang nicht nachzuweisen war. Es ging nicht um das Warum, das große Ganze. Dabei ging es um Fußball und wie verdorben der Profisport inzwischen war. Trotzdem verloren die Journalisten irgendwann endlich doch das Interesse und trieben die nächste Sau durchs Dorf. Die Bundesliga hatte schon nach den ersten sechs Spieltagen Wichtigeres zu bieten. Hamburg feuerte nach nur einem Punkt aus sechs Begegnungen seinen Trainer, wieder einmal. Es war bereits der dreizehnte in siebeneinhalb Jahren. D