Schuld
Ist er zurück?
Die Rückkehr
Seine Frau würde sterben. Wie viele Tage ihr noch blieben, wusste er nicht. Er verdrängte den Gedanken. Wenn sie im Tod ertrank, würde auch er verschwinden, versinken in ihren nassen Augen, als hätte er nie existiert.
Draußen schrien die Schneehexen. Die Heizung blieb kalt. Die knappe Rente reichte nicht mehr. Er griff nach ihrer faltigen Hand, sie war warm. Das war das Wichtigste.
Er zog die Wolldecke über die Schultern der Kranken. Ohne den Blick zu heben, rückte er das Bild zurecht, das hinter dem Bett an der Wand hing. Es zeigte einen Hirsch, gejagt von einem Rudel geifernder Wölfe. Der Rahmen war vergoldet. An manchen Stellen lugte die weiße Grundierung hervor.
Ein Hund bellte.
Sie fuhr hoch. »Schh. Schh. Alles wird gut«, sagte er und schob sie sanft zurück in das feuchte Kissen. Er achtete darauf, dass nichts sie aufregte oder störte. Nichts. In diesen Stunden fühlte er sich wie ein kleiner Junge, ohnmächtig und wütend.
Das Bellen. Wieder.
»Schh. Schh.«
Er stopfte den Schal in das Hemd und klappte den Kragen der Jagdjacke über das Kinn. Verfluchter Köter, dachte er und suchte seinen Hund im brüllenden Weiß. Was hatte ihn so aufgeschreckt? War er es? Das Bellen verwandelte sich in ein Wimmern und Flehen, bis es nach einer kurzen Stille darin erstarb.
Er zog die Hand aus dem Fäustling und legte den Zeigefinger auf den kalten Abzug der Bockbüchsflinte. Er konnte ihn nicht mehr retten. Er hatte es gut bei ihm gehabt. Jetzt war er weg. Vermutlich über die Felswand gestürzt.
Er hielt den Atem an.
Auf diese eine Jagd hatte er sein Leben lang gewartet. Ein Augenblick. Ein Schuss. Ein tödlicher Treffer. Er lauerte hinter der eisigen Schneemauer. Der Schatten, das mächtige Geweih, der heiße Nebel aus den starken Lungen: Das war er. Auch er hatte sich vorbereitet auf den großen, langen Kampf. Mann gegen Tier, Jagd gegen Flucht, er gegen ihn.
Den Schuss hörte er nicht.
Sie umschloss mit der Hand seine müden Finger. Er spürte ihren Herzschlag. »Ist etwas passiert? Ist er zurück?«, fragte sie und schob verwirrt den Kopf zu ihm. Er roch nach Weihrauch, nach bitterem Öl.
»Alles ist gut. Ich bin bei dir. Ich bleibe immer bei dir. Immer. Schh. Schh.«
Das stumme Lied
Das Abschiedslied des Hornbläsers drang in ihn ein wie ein heißes Messer. Er sah zu den hohen, schneebedeckten Tannen, die den Friedhof umgaben. Der Musiker wirkte davor verloren, schwach. Sein Lied aber schnitt schärfer als jedes Schwert. Er wandte den Blick ab, starrte auf die gefalteten Hände. Das karierte Flanellhemd lugte unter den Ärmeln des Trachtenanzuges hervor. Ein getrockneter Milchfleck hatte die Farben verblassen lassen.
Die Nachricht von Konrads Tod war überraschend gekommen. Er hatte eben die übergelaufene Milch vom Herd gewischt. Sie kochte wütend aus dem roten Stahlbecher, während er die frisch gewaschene Wäsche in den klammen Heizraum hängte.
Seine Frau hatte sich an den Geruch von Verbranntem längst gewöhnt. Sie liebte es, einen Schuss heiße Kuhmilch in den Morgentee zu rühren – eine kindlic