|25|Kapitel 2
Störungsmodelle
2.1 Biologische Modelle
Die Anerkennung der Panikstörung als eigenständiges Störungsbild geht auf Arbeiten von Donald F. Klein zurück. Er beobachtete, dass Angststörungen, die mit Panikattacken einhergehen, auf eine Behandlung mit Imipramin ansprechen, während das bei Angststörungen ohne Paniksymptome nicht der Fall ist (Klein, 1964). Klein schloss daraus, dass Panikattacken und nicht panikbezogener Angst verschiedene pathogene Prozesse zugrunde liegen. Die Panikstörung wurde als genetisch vermittelte, neurochemische Störung konzipiert, die zu plötzlichen und episodisch auftretenden Erregungsanstiegen führt. Die von Klein postulierte Unterscheidung wurde in weiterführenden Arbeiten zur Differenzierung von „fear“ und „anxiety“ ausgebaut, die viel zum heutigen Verständnis von Angststörungen beigetragen hat (vgl.Barlow, 2002). Als Alternative zu biologisch determinierten respiratorischen Auffälligkeiten formuliertenGoldstein und Chambless (1978) die Theorie der „interozeptiven Konditionierung“, nach der Unregelmäßigkeiten in der Atmung durch klassische Konditionierungsprozesse mit Angst gekoppelt werden.
Klein erweiterte seine Überlegungen später zur sogenannten„False suffocation alarm“-Theorie (Klein, 1993). Diese Theorie geht davon aus, dass zumindest einige Panikattacken durch ein im Gehirn lokalisiertes Monitoring-System ausgelöst werden, das fälschlicherweise einen Mangel an Sauerstoff meldet und dadurch eine Reaktionskaskade auslöst, die zu Hyperventilation, Panik und einer Fluchtreaktion führt. Hyperventilation, die zumindest bei einigen Panikpatienten beobachtet werden kann, wird dabei als eine kompensatorische Reaktion auf den vermuteten Sauerstoffmangel angesehen. Die Ursache der Fehlalarme vermutete Klein dabei in einer Übersensitivität für einen ansteigenden Kohlendioxid-Gehalt im Blut.
Der Vorschlag von Klein regte eine Reihe von Forschungsarbeiten an, die jedoch die Annahmen der Theorie eher infrage stellten als sie stützten. Panikprovokationsstudien zeigten beispielsweise übereinstimmend, dass provozierte Panikattacken nicht spezifisch für Patienten mit Panikstörung waren, wie es die Annahme einer zugrunde liegenden biologischen Dysfunktion bei Panikstörung nahelegen würde. Auch die Annahme einer Fehlregulation des Atmungssystems wurde verschiedentlich infrage gestellt. Respiratorische Symptome treten bei Patienten mit Panikstörung zwar häufig und sehr intensiv auf, sie sind jedoch nicht spezifisch. Im Vergleich von Patienten mit Panikstörung und Personen mit nicht klinischen Panikattacken trennten beispielsweise kognitive Symptome, wie Angst zu sterben, die Gruppen deutlich besser als respiratorische Symptome (Vickers& McNally, 2005).
Auch wenn die Annahmen der Theorie heute als weitgehend falsifiziert zu betrachten sind, sind die Arbeiten von Klein als wesentliche Forschungsimpulse zu würdigen. Klein begründete darüber hinaus die amerikanische Sichtweise der Agoraphobie als eine Folgeerscheinung der Panikstörung und bestimmte so erheblich die diagnostische Einordnung der Agoraphobie im DSM, die erst kürzlich revidiert wurde (vgl.Kapitel 1). Er formulierte, dass Personen, die wiederholt unter plötzlichen Panikattacken leiden, Erwartungsangst vor den Attacken entwickeln, auf die wiederum mit Vermeidung reagiert wird.
Neuere biologische Modelle gehen davon aus, dass der Entstehung von Panikstörungen neuroanatomische Auffälligkeiten zugrunde liegen. Ein spezifisches Modell ist dabei dieneuroanatomische Theorie der Panikstörung vonGorman (Gorman, Kent, Sullivan& Coplan, 2000). Die Theorie geht davon aus, dass Patienten mit Panikstörung vermutlich genetisch bedingt eine geringere Schwelle zur Aktivierung des|26|sogenannten Furchtnetzwerks aufweisen und daher Fehlalarme im Furchtzentrum des Gehirns ausgelöst werden, die dann eine autonome Aktivierung, u. a. einen Anstieg der Atem- und Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Muskelspannung nach sich ziehen. Das Furchtnetzwerk umfasst dabei neben der Amygdala, Bereiche des präfrontalen Kortex, der Insula und den Thalamus, sowie Leitungsbahnen zum Hirnstamm und zum Hypothalamus. Evidenz für diese Annahmen stammt v. a. aus Bildgebungsstudien, die zeigen konnten, dass während des Furchtlernens die entsprechenden Hirnareale aktiviert werden (z. B.Frederikson, Wik, Fischer& Anderson, 1995).
Die neuroanatomische Theorie nimmt an, dass die weitere Störungsentwicklung auf Konditionierungsprozessen beruht. Demnach werden Informationen aus bedrohlich erlebten Situationen (z. B. der erste Panikanfall) im Hippocampus gespeichert, der wiederum