: Lukas Nissen, Michael Sturm
: Emotionsvermeidung überwinden Eine integrative Methode zur Regulierung des inneren Alarmsystems
: Junfermann
: 9783955718176
: 1
: CHF 19.40
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 224
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Behutsame Konfrontation statt Emotionsvermeidung Emotions- und Erlebnisvermeidung sind zentrale Bestandteile jeglichen psychischen Leidens. Da sie nicht nur bei der Entstehung, sondern auch bei der Aufrechterhaltung psychischer Störungen eine zentrale Rolle spielen, gehört ihre Überwindung zu den wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Aufgaben von Psychotherapeuten. In diesem Buch werden anhand des Konzepts des 'emotionalen Resonanzraums' Wege aufgezeigt, um Vermeidung unabhängig von ihren jeweiligen spezifischen Inhalten zu überwinden. Die schulen- und methodenübergreifende Arbeit im 'emotionalen Resonanzraum' ist ein Konzept, das von Lukas Nissen und Michael Sturm aus der Schematherapie heraus entwickelt wurde. Es orientiert sich größtenteils an einfach wahrnehmbaren körperlichen Prozessen und integriert neben Elementen der Schematherapie Erkenntnisse aus der Neurobiologie, der Evolutionspsychologie sowie Vorgehensweisen aus der Achtsamkeitsbewegung. Ziel ist, sowohl bei Klienten als auch bei Therapeuten eine liebevolle, (selbst-)bejahende und offene Haltung zu fördern, im Rahmen derer belastende Therapiesituationen aufgelöst werden können. In dem Buch werden neben hilfreichen psychoedukativen Informationen sehr konkrete praktische Anleitungen für Therapeuten dargestellt.

Lukas Nissen ist Fachpsychologe für Psychotherapie (FSP), Schematherapeut (ISST) und Master of Advanced Studies in Psychotherapie (MAS). Er arbeitet am Zentrum für psychologische Beratung in Basel. Seine Schwerpunkte sind Schematherapie und Kognitive Verhaltenstherapie im Einzel- und Paarsetting.<br /><br />Michael Sturm ist Fachpsychologe für Psychotherapie (FSP) und Schematherapeut (ISST). Am Zentrum für psychologische Beratung in Basel bietet er Psychotherapie im Einzel- und Paarsetting an.<br />

1. Das Prinzip des Überlebens


Als zentral für das Verständnis des Wesens leidvoller Zustände erachten wir das Prinzip des Überlebens. Im Folgenden stellen wir zunächst grob die Bedeutung dieses Prinzips dar und erörtern, inwiefern es mit psychischem Leiden in Zusammenhang steht. Anhand einzelner Fallbeispiele zeigen wir auf, inwiefern die Mechanismen, die sich aus diesem Prinzip ergeben, spezifisch den Lebensalltag von Menschen beeinträchtigen können. Schließlich leiten wir ein Funktionsmodell ab, das die verschiedenen Mechanismen berücksichtigt und gleichzeitig Grundlage für die therapeutischen Interventionen darstellt.

1.1 Überlebensmechanismen


1.1.1 Homöostase und Verarbeitung überlebensrelevanter Reize

Der menschliche Organismus verfügt über ein evolutionär gewachsenes Steuerungssystem, das dem Prinzip des Überlebens dient. Es umfasst eine Vielzahl hoch automatisierter, unabhängig vom Bewusstsein ablaufender (teilweise aber bewusstseinsfähiger) Mechanismen, welche sich im Laufe der Evolution zur Sicherung des Überlebens entwickelt haben. Dieses Steuerungssystem zielt stets auf einen hypothetischen Zustand ab, den man als „ideale Homöostase“ bezeichnen kann und in dem zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Lebensprozesse im Individuum optimal unterstützt sind, der Organismus sich also in einem völligen Bedürfnis-Gleichgewicht befindet. Abweichungen von der idealen Homöostase sind für das Überleben relevant, je ausgeprägter sie ausfallen und je länger sie anhalten. Jedes Bedürfnis, dessen Befriedigung eingeschränkt ist, erscheint aus der Perspektive des Steuerungssystems als möglicher Beginn einer anhaltenden und lebensbedrohlichen Mangelsituation. Das Individuum tut in diesem Zusammenhang gut daran, diese Abweichungen frühzeitig zu bemerken und möglichst schnell und effizient rückgängig zu machen. Ganz dieser Aufgabe folgend ist das menschliche Steuerungssystem mit der Fähigkeit ausgestattet, einerseits lebensbedrohliche Einflüsse schnell und effizient zu orten (Alarm) und andererseits Situationen zu erkennen, die eine Bedürfnisbefriedigung versprechen (Belohnung). Überdies verfügt es über die Fähigkeit, je nach wahrgenommener Situation entsprechende Verhaltensprogramme in Gang zu setzen, letztlich mit dem Ziel, sich der idealen Homöostase so weit wie möglich anzunähern.

Wie weiter unten genauer ausgeführt wird, ist für das vertiefte Verständnis von Musteraktivierungen und die daraus abgeleiteten Interventionsformen in erster Linie der Teil des Steuerungssystems von Belang, der sich auf Bedrohungen bezieht (vgl. Kasten unten). Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass es für den Organismus überlebensnotwendig ist, akute Bedrohungen prioritär zu behandeln. Erst wenn der Organismus in Sicherheit ist, kann er sich der Befriedigung weiterer Bedürfnisse zuwenden (vgl. dazu die Bedürfnispyramide von Maslow, 1943). Ein Spezialfall, bei welchem Bedrohung und das Streben nach Lust und Befriedigung eng miteinander verquickt sind, liegt bei Suchtverhalten vor, auf welches wir inAbschnitt 1.2.5 spezifisch eingehen.

Da die Überlebensaufgabe für einen Menschen (wie für die meisten Säugetiere) alleine nicht zu bewältigen ist, müssen diese überlebenssichernden Mechanismen neben der Erhaltung des einzelnen Organismus auch den Zusammenhalt in der Gemeinschaft gewährleisten. Besonders bedeutsam sind dabei für den Menschen die Mechanismen, welche die Bindung des Säuglings an pflegemotivierte Bezugspersonen sichern.

Motivationssysteme in verschiedenen Therapieschulen

In verschiedenen Therapieschulen und Ordnungssystemen, z. B. in der CFT von Gilbert (2013) oder dem Konzept zur Selbststeuerung nach Bauer (2015), werden drei motivationale Systeme unterschieden:

  • das Alarm- bzw. Bedrohungssystem,
  • das Belohnungssystem und
  • das Bindungssystem.

Dabei wird angenommen, dass die Systeme im Lauf d