»Melissa!«, zischte Westwood seiner Tochter zu, die aus dem Haus gekommen war und sich neben ihn gestellt hatte. »Geh wieder rein!«
»Was ist denn los?« Die junge Frau schaute nun ebenfalls zu den sechs Berittenen hinüber. »Wer sind diese Leute?«
»Das werden wir bald erfahren.« Curt Westwood presste die Lippen aufeinander. Am liebsten wäre er ins Haus gelaufen und hätte sein Gewehr geholt, doch er wollte seine Tochter und seinen kleinen Sohn Daniel nicht beunruhigen. Zudem würde er die Fremden durch feindseliges Verhalten nur provozieren. Gegen sechs Colts hatte er keine Chance.
Der vordere Reiter war jetzt so nah, dass man sein Gesicht erkennen konnte.
»Das ist Mister Powell!«, stieß Melissa erfreut aus. »Anscheinend hat er ein paar Freunde mitgebracht.«
Westwood zwinkerte einige Male und schattete sein Gesicht ab. Schließlich aber erkannte auch er die vertrauten Züge von Matt Powell.
»Du hast Recht, Schatz«, sagte er leise und legte einen Arm um Melissas Hüften. Das Lächeln, das er seiner Tochter schenkte, war aufgesetzt, denn die innere Anspannung wollte ihn nicht loslassen. Obwohl Powell bei seinem letzten Besuch einen anständigen und sogar kultivierten Eindruck hinterlassen hatte, war Curt Westwood davon überzeugt, dass dieser Mann nicht mit offenen Karten spielte und mehr verbarg als er preisgab. Angeblich arbeitete er für die Atchison, Topeka& Santa Fé Railroad, die einige Meilen entfernt ein Schienencamp betrieb. Was ihn jedoch zu der abgelegenen Farm der Westwoods geführt hatte, darauf hatte er nur ausweichend geantwortet. Je mehr Curt Westwood darüber nachdachte, desto offensichtlicher wurde es, dass Powell es ausgezeichnet verstanden hatte, seine Identität zu verschleiern. Und genau dieser Punkt steigerte Westwoods Besorgnis über den unerwarteten Besuch.
Zehn Schritte von der Veranda entfernt zügelte Matt Powell seinen schwarzen Hengst, grüßte mit erhobener Hand und stieg aus dem Sattel.
»Was führt Sie zu uns?«, erkundigte sich Curt Westwood mit verhaltener Freundlichkeit. Er löste sich von seiner Tochter, drängte sie sanft ein Stück zurück und stellte sich vor sie.
»Ein Höflichkeitsbesuch unter Nachbarn«, erwiderte Powell und grinste. »Wir kommen doch nicht etwa ungelegen?«
»Wer sind Ihre Freunde?«, überging Westwood die Frage. Die Gestalten waren ihm nicht geheuer. Darunter waren drei recht junge Männer mit finsteren Mienen, ein griesgrämiger Kerl in Westwoods Alter sowie eine Frau, deren zerzaustes rotblondes Haar Temperament und Verwegenheit zum Ausdruck brachte.
»Einige meiner Arbeiter«, erklärte Powell. »Darf ich auf einen Kaffee hereinkommen?«
Einige Momente überlegte Westwood, was von Powells Gebaren zu halten war, dann jedoch sagte er: »Natürlich.«
Gemächlich schlenderte Matt Powell durch den Vorraum und betrat die Küche. Am Tisch saß der elfjährige Daniel, der mit Kreide auf einer kleinen Schiefertafel kritzelte. Powell setzte sich ihm gegenüber, während Curt am Kopfende des Tisches Platz nahm. Er beobachtete Melissa, die heißes Wasser von der Kochstelle nahm und Kaffee aufschüttete, warf aber auch einen Blick über die Schulter, um nach Powells Begleitern Ausschau zu halten. Durch die geöffnete Tür konnte er nur zwei der Reiter sehen, die abwartend auf ihren Pferden saßen.
»Du bist anscheinend sehr beschäftigt«, wandte sich Powell an den kleinen Daniel.
»Ich male«, meinte der Junge, ohne aufzusehen.
»Weißt du eigentlich«, fuhr Powell fort, »dass ich deinetwegen gekommen bin?«
Curt Westwood war es, als hätte ihn jemand mit Eiswasser übergossen.
»Nein«, antwortete Daniel und ließ sich bei seiner Tätigkeit nicht stören.
»Wir hatten vor einigen Wochen eine interessante Unterhaltung …«
»Tatsächlich?«, mischte sich Westwood ein, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Eine böse Ahnung beschlich ihn. »Was hat er Ihnen erzählt?«
Powell schenkte Melissa ein freundliches Lächeln, als sie einen Becher dampfenden Kaffee neben ihm abstellte, und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Kinder sind in dem Alter so unbefangen und redselig. Es sprudelt einfach so aus ihnen heraus. Oftmals nehmen sie es mit der Wahrheit nicht so genau und neigen gern zur Übertreibung. Häufig findet man allerdings schnell heraus, was der Fantasie entspringt und was nicht.«
Dass Westwoods Hände zitterten, merkte er erst, als Powell ihn darauf ansprach.
»Nervös?«, fragte er. Der betroffene Unterton in seiner Stimme stand in auffallendem Widerspruch zu seinem höhnischen Gesichtsausdruck.
»Was wollen Sie von mir und meiner Familie?«, schnappte Westwood und konnte seine Aufregung nicht mehr zurückhalten. Sein Ärger und seine Furcht steigerten sich, je gelassener sich Powell gab.
»Nur einen Kaffee«, versetzte der