: Andreas Latzko
: Menschen im Krieg Erzählungen
: Null Papier Verlag
: 9783962815394
: Verbrannte Bücher bei Null Papier
: 3
: CHF 0.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Meisterwerk der Antikriegsliteratur. Im Ersten Weltkrieg wird der Autor verwundet und schwer traumatisiert. In sechs eindringlichen Geschichten zeigt er den Irrsinn des Krieges auf. Diese noch 1917 anonym veröffentlichte Sammlung ist die erfolgreichste Veröffentlichung des Autors. In allen kriegsführenden Staaten wurde das Buch umgehend verboten. Die Nazis taten alles daran, um diesen frühen Mahner und Warner vor der Kriegsgeilheit vergessen zu machen. Leider hatten sie Erfolg. Auch Latzko und sein Werk erhielten von Hitler das 'Gütesiegel' der Literatur 'wider den deutschen Geist.' Erst sehr spät nach dem Krieg wurde der im holländischen Exil gestorbene Autor einem breiteren Publikum bekannt. Dennoch erreichte seine Bekanntheit nie die Grade eines Erich Maria Remarque mit seinem 'Im Westen nicht Neues.' Null Papier Verlag

Andreas Latzko (1876-1943) war ein österreichischer Schriftsteller und Pazifist. Im Ersten Weltkrieg wird er verwundet und schwer traumatisiert. Während eines Aufenthalts in einem Sanatorium in Davos schreibt er, noch anonym und unter dem Eindruck seiner Kriegserfahrungen, die ersten Erzählungen. Die Nazis setzen ihn als einen der ersten auf ihre Liste 'unerwünschter Literatur.'

Der Abmarsch


Es war im Spät­herbst des zwei­ten Kriegs­jah­res, im La­za­rett­gar­ten ei­ner klei­nen ös­ter­rei­chi­schen Pro­vinz­stadt, die am Fuße be­wal­de­ter Hü­gel, wie hin­ter ei­ner spa­ni­schen Wand ver­kro­chen, ihr ver­schla­fen fried­fer­ti­ges Dr­ein­schau­en noch im­mer nicht ab­ge­legt hat­te.

Tag und Nacht pfif­fen die Lo­ko­mo­ti­ven, roll­ten die schwer­be­la­de­nen Züge mit sin­gen­den, ge­schmück­ten Sol­da­ten, mit hoch­ge­schich­te­ten Heu­bal­len, brül­len­dem Schlacht­vieh, sorg­fäl­tig ver­schlos­se­nen, fins­te­ren Wa­gen mit Mu­ni­ti­on zur Front hin­aus; kro­chen lang­sam die an­de­ren heim­wärts, ge­zeich­net mit dem blu­ten­den Kreuz, das der Krieg über Wän­de und In­sas­sen ge­wor­fen. Mit Ra­se­schrit­ten durch­eil­te die große Wut das Städt­chen, ohne sei­ne Ruhe ver­scheu­chen zu kön­nen, als hät­ten die nie­de­ren, hell ge­tünch­ten Häu­ser mit den zop­fig ver­schnör­kel­ten Fassa­den still­schwei­gend das klu­ge Übe­rein­kom­men ge­trof­fen, den an­spruchs­vol­len, lär­men­den Ge­sel­len, der da das un­ters­te zu oberst kehr­te, vor­nehm zu igno­rie­ren.

In den An­la­gen spiel­ten die Kin­der un­ge­stört mit den großen, rostro­ten Blät­tern der al­ten Kas­ta­ni­en, Frau­en stan­den schwat­zend vor den La­den­tü­ren, in je­dem Gäss­chen schweb­te ir­gend­wo ein Mäd­chen mit bun­tem Kopf­tuch und rieb eine Fens­ter­schei­be blank. Trotz der Spi­tal­fah­nen, die auf Schritt und Tritt von den Häu­sern weh­ten, trotz der vie­len Ta­feln, Auf­schrif­ten und Weg­wei­ser, die der Ein­dring­ling dem wehr­lo­sen Städt­chen ins Ant­litz ge­hef­tet, schi­en da, kaum fünf­zig Ki­lo­me­ter hin­ter dem Ge­met­zel, des­sen Schein, in kla­ren Näch­ten, wie Thea­ter­feu­er über den Ho­ri­zont zuck­te, der Frie­den im­mer noch in Per­ma­nenz. Wenn, für Au­gen­bli­cke, der Strom der schwe­ren, fau­chen­den Kraft­wa­gen und ras­seln­den Fuhr­wer­ke ver­sieg­te, kein Zug über die Ei­sen­bahn­brücke pol­ter­te, und zu­fäl­lig auch kein Trom­pe­ten­si­gnal und kein Sä­bel­klir­ren krie­ge­risch tat, dann steck­te das trot­zi­ge klei­ne Nest blitz­schnell sein gut­mü­tig-stumpf­sin­ni­ges Pro­vinz­ge­sicht auf, um sich vor dem nächs­ten Ge­ne­ral­stab­s­au­to, das mit wich­tig­tue­ri­scher Schnel­le um die Ecke bog, re­si­gniert hin­ter die schlechts­it­zen­de Sol­da­ten­mas­ke zu ver­krie­chen.

Wohl brumm­ten in der Fer­ne die Ka­no­nen, als kau­er­te eine un­ge­heu­re Dog­ge ir­gend­wo tief un­ter der Erde, sprung­be­reit den Him­mel an­knur­rend. Das dump­fe Bel­len der großen Mör­ser klang her­über, wie schwe­res Hus­ten aus der Kran­ken­stu­be die Wa­chen­den schreckt, die mit rot­ge­wein­ten Au­gen ne­ben­an zum Ster­ben­den hin­über­lau­schen. Auch die lan­gen, nie­de­ren Häu­ser­rei­hen zuck­ten klir­rend zu­sam­men, horch­ten er­schüt­tert auf, so oft dies Hus­ten den Bo­den krampf­te, als läge die Kriegs­not, wie ein Alp, wür­gend auf der Brust der Welt. Er­staunt blick­ten die Stra­ßen ein­an­der in die Au­gen, schläf­rig blin­zelnd im Wi­der­schein der Nacht­lämp­chen, die drin ihre fröh­lich hu­schen­den Schat­ten über dicht­ge­reih­te Bet­ten jag­ten. Gel­len­de Schreie, Wim­mern, Stöh­nen sand­ten die not­ge­pfropf­ten Räu­me in die Nacht hin­aus. Je­der mensch­li­che Laut, der durch die of­fe­nen Fens­ter drang, fiel wie ein wü­ten­der An­griff die Stil­le an, war wil­de An­kla­ge ge­gen den Krieg, der da vor­ne sei­ne Ar­beit tat und zer­fetz­te Men­schen­lei­ber wie Ab­fall hin­ter sich warf, alle Häu­ser mit sei­nem blu­ti­gen Keh­richt fül­lend.

Aber die schö­nen, schmie­de­ei­ser­nen Brun­nen auf den Plät­zen rausch­ten doch gleich­mü­tig wei­ter, plau­der­ten mit be­ru­hi­gen­der Aus­dau­er von den Ta­gen ih­rer Ju­gend, da die Men­schen noch Zeit und Sorg­falt für edel ge­schwun­ge­ne Li­ni­en ge­habt, Krieg eine An­ge­le­gen­heit für Fürs­ten und Aben­teu­rer ge­we­sen. Aus je­dem Schnör­kel und je­der Ecke ström­te das Mär­chen, lief auf lei­sen Soh­len, von Frie­den und Be­ha­gen flüs­ternd, wie eine un­sicht­ba­re Klatsch­ba­se durch alle Gäss­chen, und die grei­sen Kas­ta­ni­en­bäu­me nick­ten zu­stim­mend, stri­chen mit dem Schat­ten ih­rer ge­spreiz­ten Fin­ger be­sänf­ti­gend über die er­schro­cke­nen Fassa­den. So dicht wu­cher­te die Ver­gan­gen­heit aus den ris­si­gen Mau­ern, dass je­dem, der in ih­ren Kreis trat, Brun­nen­rau­schen den Ka­no­nen­don­ner über­tön­te, die Kran­ken und Wun­den be­sänf­tigt hin­aus­horch­ten vom hei­ßen La­ger in die ge­schwät­zi­ge Nacht, blei­che Män­ner, die man auf wip­pen­den Bah­ren durchs Städt­chen trug, die Höl­le ver­ga­ßen, aus der sie ka­men, und selbst die schwer­be­pack­ten Op­fer, die im nächt­li­chen Eil­marsch dröh­nend vor­bei­zo­gen, mil­de wur­den für eine Weg­span­ne, als wä­ren sie dem Frie­den be­geg­net und ih­rem ei­ge­nen, un­be­waff­ne­ten Ich, im Schat­ten der Pfei­ler und blu­men­ge­schmück­ten Er­ker. Es er­ging dem Krie­ge wie dem Fluss, der von Nor­den her in to­ben­der Eile aus den Ber­gen kam, schäu­mend vor Wut über je­des Stein­chen, das ihm den Weg ver­trat; – und der am an­de­ren Ende, bei den letz­ten Häu­sern, doch sanft ge­rührt Ab­schied nahm von der Stadt, ganz ge­bän­digt, ganz lei­se plät­schernd, wie auf Fuß­spit­zen, wie ein­ge­schlä­fert von all’ der Ver­träumt­heit, die er ge­spie­gelt. Breit­spu­rig trat er ins wei­te Wie­sen­feld hin­aus, einen Bo­gen schlin­gend um das Gar­ni­sonss­pi­tal, das im Schat­ten dick­lei­bi­ger Pla­ta­nen wie auf ei­ner In­sel stand. Von drei Sei­ten her misch­te sich das Mur­meln der trä­gen Flut in das Ra­scheln der Blät­ter, als stimm­te der Gar­ten, wenn die Däm­me­rung auf ihn fiel, mit­lei­dig ein Schlum­mer­lied an für die Ge­schun­de­nen, die da in Reih und Glied zu lei­den hat­ten, re­gle­men­tiert bis in den Tod hin­ein, bis ans Grab, in das man sie, ver­un­glück­te Schuh­ma­cher, Klemp­ner­ge­sel­len, Bau­ern­knech­te und Schrei­ber­see­len, mit groß­mäu­li­gen Ge­wehr­sal­ven ver­scharr­te.

Der Zap­fen­streich war eben ver­k­lun­gen; die Wa­che hielt die Run­de, stö­ber­te im Schat­ten der großen Al­lee drei Nach­züg­ler auf und jag­te sie ins Haus.

»Sei­d’s ös viel­leicht Of­fi­zie­re, was?«, brumm­te ge­müt­lich pol­ternd der Kom­man­dant, ein stäm­mi­ger Land­sturm­kor­po­ral mit er­grau­ten Schlä­fen.

»Mann­schaft g’hört ins Bett um neu­ne!«

Und nur um sei­ne Wür­de zu wah­ren, füg­te er mit schlecht ge­spiel­ter Bär­bei­ßig­keit die Dro­hung hin­zu:

»Als­dann! Is g’­fäl­lig oder net?«

Bei­na­he hät­te er die in sol­chen Fäl­len üb­li­che Dro­hung, dem einen oder an­de­renBei­ne zu ma­chen, schon aus­ge­spro­chen, aus Ge­wohn­heit; doch konn­te er im letz­ten Mo­ment den Satz noch ver­bei­ßen und schnitt ein Ge­sicht, als hät­te er sich ver­schluckt. Denn die Drei, die nun er­ge­ben dem Mann­schaft­sein­gang zu­hum­pel­ten, hät­ten ge­wiss nichts...