Ein altes Motiv immer neu – Zu den Transformationen des Exodus
Eine Einführung
Von der Transformation eines Motivs, eines Motivkomplexes oder einer Tradition ist in exegetischer Literatur nicht selten zu lesen. In der Regel ist damit die gegenüber vorherigem Gebrauch bewusst veränderte Wiederaufnahme von etwas gemeint, das schon früher seinen Platz in der Überlieferung hatte. Im vorliegenden Band wird der Begriff „Transformation“ in einem ähnlichen, jedoch wesentlich geschärften Sinn verwendet, der sich am Transformationskonzept orientiert, das im Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ (SFB 644) an der Humboldt-Universität Berlin entwickelt und von Thomas Böhme programmatisch formuliert wurde.1Am Beispiel der klassischen Antike wurde im Rahmen dieses Sonderforschungsbereichs ergründet, wie die Vergangenheit und der Zugriff auf sie in Beziehung zu setzen sind. Die Vergangenheit ist demnach nichts, das, einmal geschehen, unverändert feststeht und von späteren Zeiten als Faktum aufgedeckt, objektiv betrachtet und aneinandergereiht werden könnte. „Vielmehr wird die Vergangenheit erst im Effekt ihrer Transformation gebildet, modelliert, verändert, angereichert, aber auch negiert, verfemt, vergessen oder zerstört.“2Dennoch ist sie auch nicht bloß rückblickende Konstruktion, da der Zugriff auf die Vergangenheit über real existierende Artefakte (Quellen und Monumente) geschieht. Die Artefakte bilden aus sich heraus wiederum nicht schon die Vergangenheit ab, der sie entstammen. Erst durch ihre Rezeption wird ein Zeugnis der Vergangenheit hervorgebracht, das ebenso sehr ein Zeugnis der Kultur ist, in der die Rezeption stattfindet. Die Berliner Forscher fassten diesen Zusammenhang unterden von ihnen neu geschaffenen BegriffAllelopoiese, das gegenseitige Erschaffen von Aufnahmekultur und Referenzkultur.3
Vergangenheit entsteht nach diesem Konzept erst in einem offenen Prozess in der Aneignung durch die Akteure der jeweiligen Gegenwart (diese können Personen sein, aber auch Institutionen, Diskursformationen u.a.). Indem die Rezipienten ihre eigene, auf dem Rezipierten aufgebaute oder davon distanzierte Kultur erschaffen, konstruieren sie zugleich das Rezipierte in einer Weise, die der eigenen Kultur entspricht. Der Transformationsprozess verläuft dementsprechend interdependent und asymmetrisch zwischen Referenz- und Aufnahmekultur. Das Rezipierte wird nicht nur einseitig übernommen, sondern auch verändert, so dass sich für jede historische Zeit, für jeden Aufnahmekontext ein anderes Bild der Referenzkultur ergibt. Bei diesem Vorgang entstehen häufig Transformationsketten, indem jede neue Gegenwart in ihrer kulturellen Produktion auf den Ergebnissen früherer Transformationen aufbaut. „Transformationen sind dabei performative Akte von Beobachtern, die ihre Konstruktionen von Objekten kommunizieren. Im Effekt entstehen dabei zugleich eine Antikeundeine kulturelle Identität, welche sich in Referenz auf eben diese Antike konstituiert.“4So kann sich etwa eine bestimmte Zeit an Merkmalen der klassischen Antike orientieren, die nicht eigentlich der Antike eignen, sondern dem Bild, dass sich die Aufnahmekultur von dieser macht.
Das Transformationskonzept des Berliner Sonderforschungsbereichs hat den Anspruch, ein generalisierbares Modell darzustellen, das über die Geschichtswissenschaften hinaus anwendbar und fruchtbar ist.5Geradefür die Erforschung der Bibel, ihrer Überlieferung und Rezeption scheint es ein geeignetes Werkzeug zu sein. Hierbei sticht besonders das Exo