: Niels Werber
: Geopolitik zur Einführung
: Junius Verlag
: 9783960600619
: 1
: CHF 11.70
:
: Sonstiges
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Geopolitik ist wieder in Mode. Von Gaspipelines als Lebensadern ist die Rede, von der Amputation von Territorien oder auch vom Willen, eine Landbrücke zu einer Enklave herzustellen. Staaten werden offensichtlich in Analogie zu Lebensformen betrachtet: Nicht Staaten, sondern Lebensformen fehlt die Luft zum Atmen, benötigen mehr Raum oder leiden unter Gebietsverlusten wie ein verstümmelter Körper. Bereits der Taufpate der Geopolitik, Rudolf Kjellén, betrachtet Staaten als 'geographische Organismen'. Diese entwickeln sich, wie alles Leben, in einer spezifischen Umwelt, und für einen Darwinisten folgt daraus: Sie führen einen struggle for existence und passen sich der jeweiligen Umgebung an. Daher sind Landmächte anders als Seemächte. Der Raum wird zum evolutionären Faktor ersten Ranges, ja, zu einem politischen Akteur.

Niels Werber ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Szenarien und Selbstbeschreibungsformeln der Gesellschaft, Literatur und ihre Medien, Geopolitik der Literatur, Soziale Insekten.

0. Definitionsprobleme, Methode, Korpus


Eine äußerst knappe Definition von »Geopolitik« gibt der Sozialgeograph Benno Werlen. Sie sei eine »Theorie der Politischen Geographie, die auf der These desGeodeterminismus« beruhe, also von einer »kausalen (Vor-)Bestimmtheit des menschlichen Handelns durch den Raum bzw. die Natur« ausgehe (Werlen 2000: 383). So sieht es auch Rolf Nohr. Im »Zentrum der Geopolitik [stehe] die Idee einer geodeterminierten Staatspolitik« (Nohr 2012: 145). »Die klassische Geopolitik war eine Lehre vom angeblich Konstanten und Statischen«, resümiert Jürgen Osterhammel (Osterhammel 1998: 387). Der Raum determiniert allerdings das politische Geschehen nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch seinen Einfluss auf den Staat. »Der Staat wurde dabei in Anlehnung an Ratzel als Organismus verstanden, der über einen Lebensraum von ausreichender Dimension verfügen sollte.« (Werlen 2000: 383) Dies ist sicher eine bündige Formel, aber sie ist nicht sehr genau, weil die interessantesten Beiträge zur Geopolitik gerade aus der Grundannahme, Staaten seien als Lebensformen oder Superorganismen anzusehen (Dodds 2007: 28, 30), eine sozusagen staatsbiologische Konsequenz ziehen und das evolutionäre Verhältnis von politischen Gemeinwesen und ihrer Umwelt erforschen – also geradenicht von einerDetermination des politischen Handelns durch den Raum ausgehen. Zwar ist es völlig richtig, auf die »sozialdarwinistischen Denkmuster« hinzuweisen, die den geopolitischen Diskurs seit se