2.Außer-sich-Sein als Ausnahmezustand: Entfremdung bei Rousseau
»Radikale Vergesellschaftung heißt radikale Entfremdung.« (Adorno, GS 3, 81)
Wenn im Folgenden von Entfremdung die Rede ist, dann meint das die spezifisch moderne Erfahrung, dass Menschen sich aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen selbst abhanden kommen können. Sie verlieren damit, wie man mit Hartmut Rosa sagen kann, die Fähigkeit zur »Resonanz« mit ihrer sozialen und natürlichen Umwelt sowie mit sich selbst. Eine lebendige Beziehung mit diesen Regionen muss zumindest noch erinnert werden, um vermisst werden zu können. Vielleicht deshalb tritt die radikalste Kritik an solchen Phänomen bereits zu Beginn der sozialen Umstellung von traditionellen zu modernen Gesellschaften auf den Plan. Den Beginn der Moderne setzen wir für unsere Zwecke um das Jahr 1750 an, denn in dieser Zeit lässt sich eine sozialtheoretische Reflexion vernehmen, die diese Art von Entfremdungserfahrung bereits mit Händen greifen lässt.15 Wir beginnen mit Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), dem neben David Hume und Immanuel Kant wohl wichtigsten europäischen Philosophen des 18. Jahrhunderts.
Entfremdung im Zentrum des Werkes von Rousseau
Rousseaus Werk ist sehr vielfältig, aber es lässt sich gut entschlüsseln, wenn man die Entfremdung als das große Thema begreift,