In politischen wie auch in wissenschaftlichen Debatten wird Gewalt in der Regel als Problem thematisiert. Ähnlich wie bei »Armut«, »Frieden« oder »Demokratie« handelt es sich um einen stark werthaltigen Begriff, doch anders als die beiden letztgenannten führt er in der Regel keine positive, sondern eine negative Konnotation mit sich. Wo von Gewalt die Rede ist, steht etwas auf dem Spiel, geht es um ein Problem, das gelöst, eine Situation, die verändert werden muss. Dem Zeitgenossen ist diese Unselbstverständlichkeit der Gewalt selbstverständlich. Denn Gewalt zerstört nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche, soziale Beziehungen, im Extremfall sogar das ganze Beziehungsgeflecht von Gesellschaften. Diese Unselbstverständlichkeit der Gewalt ist jedoch, wie in der Einleitung bereits angedeutet, keine historisch-kulturelle Universalie, sondern ein Charakteristikum der Moderne. Denn Geschichte wie Gegenwart kennen Kontexte, in denen das Ausüben und/oder das Erleiden physischer Gewalt zum regulären Erwartungshorizont sozialer Interaktion gehört und dabei keineswegs notwendig mit Vorstellungen von der Zerstörung sozialer Beziehungen assoziiert ist, sondern beispielsweise als Gemeinschaft stiftendes Ereignis gilt oder auch als eine Form der Lust.6
In der modernen Sozialtheorie jedoch blieb die Partikularität des zeitgenössischen Gewaltverhältnisses lange Zeit unreflektiert, mit dem Effekt, dass Gewalt auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung als etwas Unselbstverständliches, als Abweichung von der Norm thematisiert werden konnte. Auch in der Sozialtheorie erschien Gewalt also in erster Linie als ein Problem, das es zu lösen, und nicht als ein Phänomen, das es zu verstehen galt. So beschäftigt sich bis heute die Mehrzahl der Arbeiten, die unter dem Stichwort »Gewaltforschung« veröffentlicht wird, mit den Ursachen der Gewalt – sei es nun Gewalt an Schulen oder in Kriegen – sowie den Möglichkeiten ihrer Beendigung und Prävention. Und ob