2. KAPITEL
Jonah fand das ausgefüllte Formular am nächsten Morgen am Empfangstresen. Seine neue Helferin musste es in aller Frühe schon hingelegt haben. Rasch überflog er die Angaben.
Mary McHale war sechsundzwanzig Jahre alt und hatte im März Geburtstag. Als Anschrift hatte sie postlagernd Wyoming angegeben. Aufgewachsen war sie auf einer Ranch und hatte nach der Schule sechs Jahre lang bei Rodeoveranstaltungen Pferde betreut. Während dieser Zeit war sie immer wieder umgezogen. Zuletzt hatte sie zwei Jahre auf einer Pferderennbahn in Kalifornien gearbeitet, aber vor einiger Zeit gekündigt, um ihr Pferd für das nächste große Springreitturnier zu trainieren.
Ganz schön mutig, fand er.
In der Spaltenächste Angehörige hatte siekeine angegeben.
Die Adresse der Ranch, auf der sie aufgewachsen war, kam ihm irgendwie vertraut vor, aber woher? Ah ja, von dort bekam er immer wieder einmal Spendenaufforderungen, denn es handelte sich um ein Waisenhaus. Das erklärte, warum Mary keine Angehörigen angegeben hatte.
Unerwartet überkam ihn Mitleid. Wie einsam und verlassen musste ein Kind sich fühlen, das keine Familie hatte. Er selbst konnte sich das schlecht vorstellen, wenn er an all seine Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins dachte! Sowohl seine Mutter als auch sein Vater hatten einen ganzen Clan hinter sich, mütterlicherseits gab es indianische, väterlicherseits temperamentvolle irische Wurzeln.
Aber eigentlich gingen ihn die Familienverhältnisse seiner neuen Mitarbeiterin gar nichts an. Ihn hatten nur ihre Zeugnisse und ihre beruflichen Fähigkeiten zu interessieren, und bis jetzt arbeitete sie ausgesprochen gut. Bei seinem Rundgang gestern Abend hatte er nichts zu bemängeln gehabt. Er hatte auch ihr Pferd gesehen, dessen Bein bandagiert war. Mit dem Training für das Springreitturnier dürfte es vorerst nichts werden.
Er fragte sich, ob sie womöglich all ihre Hoffnungen auf den Hengst gesetzt hatte – so wie Keith und er Geld und Energien in die alte Ranch investiert hatten, die Keith von seinem Großvater geerbt hatte. Dafür hatte Jonah seinen gut bezahlten Job als Marketingmanager in New York aufgegeben und war nach Idaho zurückgekehrt.
Zehn Jahre lang hatte er in New York gelebt und neben seinem anstrengenden Job sogar noch einen Bestseller über Marketingstrategien veröffentlicht. Doch irgendwann fing ihn seine Arbeit zu langweilen an. Er nahm sich eine Auszeit und zog in die Gegend zurück, wo er aufgewachsen war. Als sein Cousin Keith ihm angeboten hatte, gemeinsam die alte Ranch seines Großvaters wieder auf Vordermann zu bringen, da hatte Jonah spontan zugesagt und seine Stelle in New York gekündigt.
Er gab Marys Daten in den Computer ein, legte ein Gehaltskonto an und füllte die Anmeldung für die Sozialversicherung aus.
Der Duft von Kaffee und frischgebackenen Muffins lockte ihn in die Küche. Er schenkte sich eine große Tasse Kaffee ein, nahm sich einen Muffin und ging nach draußen auf die Veranda. Er sah, dass die Arbeitspferde und die Packesel bereits auf der Koppel standen. Auch der Hengst war dabei.
In diesem Moment kam Mary um die Ecke.
„Guten Morgen“, sagte er, und sie zuckte zusammen.
„Hallo, ich habe Sie gar nicht bemerkt.“
Genau wie bei ihrer Ankunft am Tag zuvor trug sie eine Brille, die sich je nach Sonneneinstrahlung verdunkelte, und ihr Haar war unter dem Hut versteckt.
„Ihre Muffins schmecken köstlich. Wie lange sind Sie denn schon auf?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Ich war früh wach.“ Unschlüssig blickte sie auf ihre Stiefel.
„Übrigens sind die beiden Esel gern in einer Box zusammen“, sagte Jonah. „Sie können Ihren Hengst also in der freien Box unterbringen.“
„Danke.“ Sie stieg die Stufen zur Veranda hoch. „Ich frühstücke jetzt erst einmal.“
Er folgte ihr in die Küche. „Haben Sie was dagegen, wenn ich mir ein paar Eier brate?“, fragte sie, während sie sich Kaffee eingoss.
„Nein, fühlen Sie sich wie zu Hause.“
„Möchten Sie vielleicht etwas von meinem Omelett abhaben?“
„Hm, gern“, erwiderte er erfreut.
Sie holte Eier aus dem Kühlschrank, außerdem Butter und Käse. Dann entdeckte sie noch einen halben Räucherschinken und schnitt ein Stück ab. Kurz danach brutzelte ein duftendes Omelett in der Pfanne.
„Sie sind sehr geschickt in der Küche“, sagte er anerkennend und goss sich neuen Kaffee ein.
Es dauerte eine Weile, bevor sie antwortete. „Im letzten Schuljahr habe ich ein Berufspraktikum in einem Restaurant absolviert.“
„Das Waisenhaus wollte wohl sichergehen, dass Sie etwas lernen, bevor Sie auf eigenen Füßen stehen, oder?“
Sie zuckte he