1. KAPITEL
Sie würde so gern noch einmal von vorn beginnen.
Das Band bis zu dem Zeitpunkt zurückspulen, von dem an alles schiefgelaufen war. Diese Nacht. Diese Party. In der Woche, als sie sechzehn geworden war.
Wenn sie ihrem Vater nicht den Gehorsam verweigert hätte …
Wenn sie sich nicht aus dem Haus geschlichen hätte, um an etwas Verbotenem teilzunehmen …
An einem Ort, den brave Mädchen aus Baraka nicht besuchen sollten.
Aber das alles lag Jahre zurück, und jetzt waren Keira Gordons Finger schon ganz taub, weil sie das Telefon so krampfhaft umklammerte. „Ich heirate ihn nicht. Ich kann ihn nicht heiraten, Dad, das ist unmöglich.“
Omar al-Issidri holte ungeduldig Luft. „Das Einzige, was unmöglich ist, ist, dass du mit dreiundzwanzig immer noch ledig bist! Du machst unserer Familie Schande.“
Keira wusste, dass junge Frauen in Baraka früh heirateten, um ihren Ruf zu schützen. Aber Keira war keine Barakanerin, war es nie gewesen. Doch als Engländerin fühlte sie sich auch nicht, obwohl sie den größten Teil ihres Lebens bei ihrer liberalen intellektuellen Mutter in Manchester verbracht hatte.
„Er ist ein bedeutender Mann, Keira. Er hat Beziehungen, ist mächtig und einflussreich …“
„Das interessiert mich nicht.“
Schweigen. „Du musst verstehen, Keira, dass diese Heirat sehr wichtig ist. Für uns alle. Du musst heiraten. Sidi Abizhaid hat dich auserwählt. Du solltest dich durch sein Interesse geehrt fühlen.“
Ihr Vater hörte ihr überhaupt nicht zu. Aber ihrer Mutter zufolge hörte ihr Vater einer Frau sowieso niemals zu. Das war nur einer der Gründe, warum sie ihn vor vielen Jahren verlassen hatte.
Keira rieb sich die Stirn. Ihr lag etwas an ihrem Vater. Sie mochte ihn wirklich, aber er hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich von dem verschleierten Leben einer Frau in Baraka entfernt hatte. Baraka, ein Königreich in Nordafrika voller rosafarbener Berge, goldener Sanddünen und wunderschöner Hafenstädte, die eher europäisch als orientalisch wirkten. „Ich lebe in Dallas, Dad. Ich habe hier einen Job und wunderbare Freunde. Menschen, denen wirklich etwas an mir liegt.“
„Aber keinen Ehemann.“
„Ich will keinen Ehemann.“ Die Frustration verlieh ihrer Stimme einen schärferen Ton. „Ich bin gerade erst mit dem Studium fertig und habe noch nicht einmal angefangen, im Beruf wirklich Fuß zu fassen und meine Karriere aufzubauen.“
„Karriere?“
„Allerdings. Ich will doch Karriere machen. Ich bin intelligent …“
„Das ist alles das Werk deiner Mutter. Ich hätte ihr nie erlauben dürfen, dich außer Landes zu bringen, sondern dich hierbehalten sollen. Sie hatte nicht das Zeug dazu, ein Kind aufzuziehen.“
Überwältigt von aufsteigendem Zorn biss Keira sich auf die Zunge. Über Jahre hatten ihre Eltern verheerende Machtspiele miteinander gespielt und sie dabei für ihr bösartiges Tauziehen missbraucht.
„Die Heirat ist eine Ehre“, fügte ihr Vater hinzu. „Und eine gute Heirat würde für uns alle Ehre bedeuten.“
Für mich nicht, dachte Keira. „Aber ich will nicht heiraten“, wiederholte sie mit erstickter Stimme. „Es ist nicht das, was ich mir für mein Leben erträum