PROLOG
Eines Samstags im September, vor zehn Jahren …
Beide Seiten der schattigen Straße waren verstopft von Autos und Pick-ups, und zwar in beide Richtungen auf einer Länge von einer Meile. Dabei lief die Zeit – rasant. Tripp Galloway entschied sich daher, den alten Pick-up seines Stiefvaters in zweiter Reihe neben der wartenden Limousine des Brautpaars zu parken. Er stellte den Automatikhebel auf „Leerlauf“, zog die Handbremse an und sprang aus dem Wagen. Den Motor ließ er laufen, die Tür offen.
Der Chauffeur der Limousine vertrieb sich die Zeit auf dem Gehsteig, das Handy ans Ohr gepresst. Ein Auf-die-Uhr-Gucker, urteilte Tripp im Vorbeigehen. Der Mann konnte das Ende der Veranstaltung offenbar nicht erwarten, damit er sein Geld erhielt und verschwinden durfte. Sein Hängebackengesicht war gerötet.
Als der Chauffeur bemerkte, dass Tripp den Pick-up einfach stehen lassen wollte, unterbrach er sein Telefonat. „Hey, Kumpel, Sie können hier nicht parken …“
Tripp lief ohne ein Wort an ihm vorbei durch das offene Tor und den Plattenweg entlang.
Die Türen der kleinen und ehrwürdigen Kirche aus rotem Backstein in Mustang Creek, eines der ältesten Gebäude der Gemeinde, standen trotz des kühlen, wenn auch sonnigen Herbstnachmittags weit offen. Drinnen war es verdächtig ruhig.
Das konnte ein gutes Zeichen sein – oder auch nicht.
Tripp hatte nicht viel Ahnung von Hochzeiten, schon gar nicht heutzutage, wo viele Paare die Zeremonie frei nach ihrem Geschmack gestalteten. Aber wenn die Veranstaltung vorbei war und er zu spät kam, um ein Ehe-Unglück zu verhindern, dann müsste man doch triumphale Orgelmusik hören, oder?
Andererseits konnte die Stille auch bedeuten, dass Hadleigh Stevens genau in diesem Augenblick „Ja, ich will“ sagte. Und damit wäre der Zug abgefahren.
Tripp atmete tief durch und schritt weiter.
Drei Platzanweiser hielten sich in der winzigen Vorhalle auf und beobachteten die Zeremonie am Altar, wobei sie nervös ihre steifen schwarzen Fliegen richteten. Tripp schob sich dreist zwischen ihnen hindurch. Und endlich befand er sich im Altarraum.
Zum Glück versuchte niemand, ihn aufzuhalten.
Sein Auftritt würde für Hadleigh dramatisch genug werden, auch ohne dass irgendwer niedergeschlagen wurde oder es ein Handgemenge gab.
Mal ganz abgesehen davon, dachte er grimmig, dass dies hier eine Kirche und keine Cowboy-Bar ist.
Auf dem Weg zum Brautpaar nahm er die übrigen Gäste nur aus den Augenwinkeln wahr. Sie drängten sich auf den Kirchenbänken und der Chorempore entlang der Wände.
Die Hochzeit war offenkundig das Hauptereignis der Saison. Außer im Juli, wenn das Rodeo stattfand, passierte nicht viel in Mustang Creek. Daher wäre die Hochzeit ohnehin schon Gesprächsstoff gewesen, auch ohne die bevorstehende Unterbrechung. Jetzt, schoss es Tripp durch den Kopf, wird der Tag zur Legende werden.
Die Zeit schien plötzlich langsamer zu verstreichen, während er unbeirrt seinen Weg fortsetzte.
Hadleigh stand vorn, eine Erscheinung in Weiß, wunderschön. In ihrem Schleier, der ihren weitgehend nackten Rücken bedeckte, glitzerten winzige Strasssteine in den Regenbogenfarben wie Lichtstrahlen in einem Wasserfall. Sie und der Bräutigam standen vor dem Pfarrer, der Tripp natürlich noch vor dem glücklichen Paar erblickte. Der alte Mann zog die Augenbrauen hoch, seufzte schwer und klappte das kleine Buch zu, aus dem er gelesen hatte. Das Geräusch hallte dröhnend in der Kirche wider.
Unter den Gästen herrschte für einen Moment Verblüffung, dann erklang Gemurmel.
Innerlich wappnete Tripp sich gegen den Aufruhr, allerdings schritt immer noch niemand ein.
Hadleigh drehte den Kopf, um dem Blick des Pfarrers zu folgen, und erschrak, als sie Tripp entdeckte, der nur wenige Meter vor ihr stehen geblieben war. An seinen Stiefeln klebten die pink-weißen Rosenblätter, die den Mittelgang bedeckten.
Sie gab keinen Laut von sich, zumindest noch nicht. Doch trotz der Schichten aus Chiffon, aus denen ihr Schleier gemacht war, sah Tripp, wie Hadleighs leuchtende Augen sich vor Überraschung weiteten. Innerhalb der nächsten Sekunden aber wich die Verblüffung der Braut purer Wut.
Sie wirbelte herum, trat einen Schritt auf ihn zu und wäre beinahe über den Saum ihres übertriebenen Brautkleids ges