Nicht einen Meter
Kuala Lumpur, Hotel Sama-Sama, Samstagmorgen. Es ist 9.10 Uhr. Heute entscheidet sich, wer beim morgigen Rennen von der Pole-Position startet. Die Abfahrt vom Hotel ist für 9.30 Uhr geplant. Der Fahrer schläft bis zum letzten Moment.
Ich sitze bei einem Kaffee in der Bar im Foyer, am Nebentisch johlen drei lebens- und biererfahrene Leute mit Baseballkappen, zwei Frauen und ein Mann. Ihre ferrariroten T-Shirts haben dunkle Flecken, offenbar Erinnerungen an das preiswerte und schmackhafte Tiger-Bier. Drei heisere Wesen um die fünfzig, die den Geruch von tagelang im Organismus mariniertem Alkohol verströmen. Es stellt sich heraus, dass sie aus Australien kommen und schon am Mittwoch aus Sydney eingeflogen sind, um sich das Rennen anzusehen und ins Bierglas zu schauen.
Eine der beiden Frauen, die rothaarigere, fragt, ob sie mich möglicherweise gestern Abend angemotzt haben. Ich antworte, ich sei nicht in der Bar gewesen, von dieser Option hätten sie also noch keinen Gebrauch gemacht. Der Mann, dessen hellrote Wangen kleine Löcher aufweisen, erkundigt sich barsch, wer mein Favorit ist, Kimi oder der englische Nichtsnutz mit den Ohrringen. Seiner Meinung nach sehe ich eindeutig wie ein Lewis-Hamilton-Mann aus. Ich erkläre, dass ich hetero bin und kein Fan von wem auch immer. Die Frauen lachen erleichtert, weil sie mich nicht angemotzt haben.
Der Mann erkundigt sich nach meiner Meinung über Kimi Räikkönen. Ich sage, dass ich ihn nicht persönlich kenne, aber zu schätzen weiß, wie er dem Tod trotzt. Außerdem erzähle ich, dass ich noch nie ein Formel-1-Rennen bis zum Schluss verfolgt habe und mich nicht für diesen Sport interessiere. Die Frauen wollen mehr über meine Defizite wissen, aber der Mann bringt sie zum Schweigen und blickt mir streng in die Augen. Zur gleichen Zeit spüre ich seinen Blick sowohl am Hals als auch an den Ohren, denn seine Augen schweifen hin und her. Er fragt, woher ich komme und was ich in einem Hotel in der Nähe der Rennstrecke von Sepang zu schaffen habe, wenn ich mich nicht für die Formel 1 interessiere. Ich erzähle, dass ich aus Finnland komme und einfach nur Urlaub mache. Das Grüppchen horcht auf. Ich komme aus demselben Land wie Kimi. Mein Wert steigt. Zu Ehren meines Heimatlandes bestellen sie eine weitere Runde Bier. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, als sie ihre Meinung über Kimi zum Besten geben, der für sie wie ein Familienmitglied sei. Kimi sei der einzige Fahrer, der nach dem Rennen keinen banalen Stuss redet. Sie wissen, dass Kimi in diesem Hotel wohnt, haben ihn aber noch nicht zu Gesicht bekommen, denn er kommt immer erst spät ins Hotel, und dann sind sie schon so angeheitert, dass sie vergessen, den Lift im Auge zu behalten. Ihrer Meinung nach muss man Kimi begegnen, es reicht nicht, ihn auf der Hauptgerade mit 290 Stundenkilometern vorbeirasen zu sehen. Dabei gewinnt man keinen Eindruck von einem Menschen. Ich stimme zu.
Der Mann will mir einen Schnaps spendieren, denn so was trinken die Fin