: Franz Petermann, Andreas Maercker, Wolfgang Lutz, Ulrich Stangier
: Klinische Psychologie - Grundlagen
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783840927836
: 2
: CHF 24.50
:
: Psychologie
: German
: 300
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Das Lehrbuch bietet eine kompakte und gut verständliche Einführung in die Grundlagen der Klinischen Psychologie. Die Klinische Psychologie ist das wichtigste Anwendungsgebiet der Psychologie. Mit ihren Modellvorstellungen greift sie einerseits auf zahlreiche Ergebnisse psychologischer Grundlagendisziplinen zurück, andererseits vermittelt sie das notwendige Wissen für die darauf aufbauenden beruflichen Tätigkeitsfelder u. a. in Krankenhäusern, Praxen und Rehabilitationskliniken. Dieses Lehrbuch vermittelt anhand ausgewählter Beispiele die dafür erforderlichen Grundlagen. Darüber hinaus wird auf Basiskonzepte der Klinischen Psychologie eingegangen, so z. B. auf die Grundlagen der Klassifikation psychischer Störungen, Störungsmodelle, die klinische Diagnostik sowie Aussagen zum Behandlungsbedarf bei psychischen Störungen. Ebenso werden Fragen der Epidemiologie und Versorgungsforschung diskutiert. Zahlreiche Kästen mit Beispielen, Tabellen und Abbildungen strukturieren den Text, Verständnisfragen dienen der optimalen Prüfungsvorbereitung.

|33|Kapitel 2
Lern- und sozialpsychologische Grundlagen


Franz Petermann und Ulrich Stangier

|34|„Lernen“ ist ein vielfältiges und komplexes Konzept, das verschiedene Lernvorgänge gleichermaßen beschreibt und gegeneinander abgrenzt:

Begriffsklärung: Lernen

Lernen kann als relativ dauerhafte Veränderung im Verhalten oder den Verhaltenspotenzialen eines Lebenswesens in Bezug auf eine bestimmte Situation beschrieben werden, die auf wiederholter Erfahrung mit dieser Situation beruht (vgl.Petermann& Petermann, 2018).

Wesentlich bei Lernprozessen ist die relative Stabilität der Veränderung, wobei Lernen von kurzfristigen Veränderungen abgegrenzt werden kann, die z. B. durch Ermüdung entstehen. Gleichzeitig ist Lernen anders als biologisch determinierte Veränderungen wie Reifungs- oder Alterungsprozesse durchaus reversibel: Alles, was wir uns durch Lernen aneignen, können wir unter bestimmten Bedingungen auch wieder verlernen. In den folgenden drei Abschnitten wird ein Überblick über die wichtigsten Formen des Lernens gegeben, die für die Klinische Psychologie von Bedeutung sind.

2.1 Klassisches Konditionieren


2.1.1 Grundlagen der klassischen Konditionierung

Das Prinzip der klassischen Konditionierung geht auf Ivan Pawlow (1849–1936) zurück. Er beobachtete Hunde, die beim Anblick von Nahrung zuverlässig speichelten. Dabei stellte er fest, dass diese nach einiger Zeit bereits anfingen Speichel abzusondern, wenn sie den Tierpfleger sahen, der sie gewöhnlich fütterte. Daraufhin kombinierte er diese angeborene Reiz-Reaktions-Verbindung (Futter – Speichelfluss) mit anderen, neutralen Reizen (z. B. ein Glockenton). Eine wiederholte Kombination der Reize führte dazu, dass auch der ursprünglich neutrale Reiz den Speichelfluss auslöste. Pawlow beschrieb diesen Lernvorgang in vier Stufen (Pawlow, 1972):

  1. Ein unkonditionierter Stimulus (UCS) löst eine unkonditionierte Reaktion (UCR) aus. Diese Reiz-Reaktions-Verbindung wird als biologisch determiniert angenommen, d. h. sie läuft reflexhaft ab.

  2. Ein neutraler Reiz (NS) wird mit dem UCS gekoppelt. Diese Kopplung löst weiter die unkonditionierte Reaktion (UCR) aus.

  3. Die Kombination aus UCS und NS wird mehrfach dargeboten.

  4. |35|Der NS wird zum konditionierten Stimulus (CS) und kann ohne den UCS die Reaktion auslösen. Diese wird dann als konditionierte Reaktion (CR) bezeichnet.

Abbildung 6 verdeutlicht diese Prozesse, mit denen man klassisch konditionierte Lernvorgänge beschreiben kann.

Abbildung 6: Ablauf der klassischen Konditionierung

Auch beim Menschen konnte die Auslösung verschiedener Reaktionen, wie z. B. Blinzeln, Übelkeit, aber auch Hunger oder Durst, konditioniert werden. Dies lässt sich auch im Alltag beobachten. Wer einen Tagesablauf mit regelmäßigen Mahlzeiten pflegt, wird jeden Tag zur selben Zeit Hungergefühle erleben – der Hunger (CR) wird durch die Tageszeit (CS) ausgelöst.

Ebenso wie Verhaltensweisen oder physiologische Reaktionen können auch emotionale Reaktionen, z. B. Angst, konditioniert werden. Dies ist von großer Bedeutung für das Verständnis von psychischen Problemen. Ein Forscher, der sich mit diesem Phänomen beschäftigte, war John B. Watson (1878–1958). Das einflussreichste Experiment zum Nachweis dieser Annahme war sein Versuch mit dem „kleinen Albert“, in dem bei einem einjährigen Jungen eine Angstreaktion beim Anblick einer weißen Ratte konditioniert wurde (Watson& Rayner, 1920). Im beschriebenen Experiment konnten zusätzlich auch andere Reize (z. B. ein weißes Kaninchen), die mehrere Merkmale mit der Ratte gemeinsam hatten, die konditionierte Reaktion auslösen (Reizgeneralisierung).

|36|Begriffsklärung: Reizgeneralisierung

Als Reizgeneralisierung bezeichnet man die Übertragung der konditionierten Reaktion auf Reize, die verschiedene Merkmale mit dem konditionierten Reiz teilen.

2.1.2 Voraussetzungen der klassischen Konditionierung

Preparedness. Nach der Theorie der „Preparedness“ (Seligman, 1970) gibt es eine artspezifische höhere Bereitschaft (= biologische Determiniertheit), bestimmte konditionierte Reaktionen auszubilden, die einen Überlebensvorteil mit sich bringen würden. So sind Reize, die in der natürlichen Umwelt Gefahr signalisieren können, besonders leicht konditionierbar.

Klinische Psychologie – Grundlagen1
Inhaltsverzeichnis7
Vorwort13
Kapitel 1: Modelle der Klinischen Psychologie15
1.1Klinische Psychologie: ihre Bereiche und Nachbardisziplinen16
1.2Störung und Gesundheit als psychologische Konstrukte17
1.3Grundmodelle der Störungslehre22
Zusammenfassung32
Fragen33
Kapitel 2: Lern- und sozialpsychologische Grundlagen35
2.1Klassisches Konditionieren36
2.2Operantes Konditionieren40
2.3Kognitive und sozial-kognitive Lerntheorien46
2.4Soziale Kognition und Attribution49
2.5Soziales Verhalten: Interpersonelle Beziehungen und der Einfluss sozialer Gruppen57
Zusammenfassung61
Fragen62
Kapitel 3: Kognitionspsychologische Grundlagen65
3.1Kognitive Modelle der Depression66
3.2Kognitive Modelle der Panikstörung72
3.3Kognitive Modelle der Sozialen Angststörung77
3.4 Kognitive Modelle der Posttraumatischen Belastungsstörung80
3.5Depression versus Angst: Unterscheiden sich die Kognitionen?85
3.6Umsetzung in die klinische Praxis88
Zusammenfassung90
Fragen91
Kapitel 4: Entwicklungspsychopathologische Grundlagen93
4.1Aufgabenfelder und Methoden der Entwicklungspsychopathologie94
4.2Die bio-psycho-soziale Sichtweise96
4.3Entwicklungspfade98
4.4Grundbegriffe der Entwicklungs­psycho­pathologie99
4.5Ergebnisse der Entwicklungs­psychopathologie105
4.6Nutzen des Entwicklungsmodells für die klinische Praxis116
Zusammenfassung117
Fragen118
Kapitel 5: Vom Symptom zur Diagnose: Allgemeine Grundlagen und Beispiele119
5.1Der diagnostische Prozess120
5.2Symptom, Syndrom und Diagnose124
5.3Kategoriale versus dimensionale Diagnostik125
5.4Diagnose- bzw. Klassifikations­systeme128
5.5Klassifikationssysteme positiver Eigenschaften und Ressourcen133
Zusammenfassung134
Fragen135
Kapitel 6: Klassifikation psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen137
6.1Psychische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter138
6.2Klassifikation psychischer Störungen bei Kindern- und Jugendlichen139
6.3 Klassifikation von Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung143
6.4Klassifikation von Verhaltensstörungen159
6.5Ausscheidungsstörungen170
6.6Fütter- und Essstörungen173
Zusammenfassung174
Fragen175
Kapitel 7: Klassifikation psychischer Störungen bei Erwachsenen177
7.1Zur Einteilung psychischer Störungen178
7.2Schizophrene Psychosen181
7.3Affektive Störungen188
7.4Angststörungen194
7.5Belastungsstörungen200
7.6Zwangsstörungen203
7.7Somatoforme Störungen206
7.8Demenzen209
7.9Sucht- und Abhängigkeitsstörungen211
7.10Persönlichkeitsstörungen215
7.11Weitere psychische Funktionsstörungen218
Zusammenfassung225
Fragen225
Kapitel 8: Klinische Diagnostik: Anamnese, Exploration, psychometrische Ansätze227
8.1Einführung228
8.2Grundprinzip der Diagnostik: Multimodalität231
8.3Indikationsstellung233
8.4Verlaufsdiagnostik und Therapie­evaluation245
Zusammenfassung250
Fragen250
Kapitel 9: Epidemiologie und Versorgungsforschung251
9.1Epidemiologie252
9.2Versorgungsforschung263
9.3Qualitätssicherung265
Zusammenfassung267
Anhang269
Literatur271
Glossar284
Sachregister293