: Lee Child
: Der Einzelgänger 12 Jack-Reacher-Storys - erstmals auf Deutsch
: Blanvalet
: 9783641226374
: 1
: CHF 8,90
:
: Spannung
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Dieser Story-Band zeigt, was Fans an Lee Child so schätzen: Er ist ein geborener Erzähler und ein scharfsinniger Beobachter.' Publishers Weekly
Jack Reacher ist der wahrscheinlich härteste Actionheld der Thrillerliteratur, und das bereits seit 20 Jahren. Der Einzelgänger macht sich nicht viel aus der Gesellschaft anderer Menschen. Aber wenn er Ungerechtigkeit bemerkt, dann kann er gar nicht anders als einzugreifen. In zwölf Storys ermöglicht SPIEGEL-Bestsellerautor Lee Child seinen Fans einen tiefen Einblick in das Innere eines der faszinierendsten und erfolgreichsten Serienhelden des modernen Thrillers. Ob in New York, dem ländlichen Maine oder in Japan, ob im Alter von 17 oder 57 Jahren: Jack Reacher begeistert Leser und Kritiker - und das seit zwanzig Jahren!
Dieses Buch enthält folgende Storys:
Zu viel Zeit
Der zweite Sohn
Hitzewelle
Tief drinnen
Kleinkriege
Jam s Penneys neue Identität
Das Verhör
Dies ist keine Übung
Vielleicht haben sie eine Tradition
Ein Kerl kommt in eine Bar
Kein Raum in der Herberge
Der einsame Diner

Jack Reacher greift ein, wenn andere wegschauen, und begeistert so seit Jahren Millionen von Lesern. Lassen Sie sich seine anderen Fälle nicht entgehen. Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.

Lee Child wurde in den englischen Midlands geboren, studierte Jura und arbeitete dann zwanzig Jahre lang beim Fernsehen. 1995 kehrte er der TV-Welt und England den Rücken, zog in die USA und landete bereits mit seinem ersten Jack-Reacher-Thriller einen internationalen Bestseller. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Anthony Award, dem renommiertesten Preis für Spannungsliteratur.

DER ZWEITE SOHN

1

An einem heißen Dienstag im August 1974 tat ein alter Mann in Paris etwas, das er noch nie gemacht hatte: Er erwachte morgens in seinem Bett, aber er stand nicht auf. Er konnte nicht. Sein Name war Laurent Moutier, und er hatte sich zehn Tage lang ziemlich mies und weitere sieben Tage lang wirklich schlecht gefühlt. Seine Arme und Beine kamen ihm dünn und schwach vor, und sein Brustkorb schien aus Beton zu bestehen, der langsam aushärtete. Er wusste, was mit ihm los war. Von Beruf Möbelrestaurator, war aus ihm nun etwas geworden, das Kunden ihm manchmal gebracht hatten: ein aus dem Leim gegangenes, wurmstichig gewordenes altes Erbstück. Dabei litt er an keiner bestimmten Krankheit. Stattdessen versagten alle möglichen Organe gleichzeitig. Dagegen war nichts zu machen. Unvermeidlich. Also lag er geduldig keuchend da und wartete auf seine Haushälterin.

Sie tauchte wie immer um zehn Uhr auf und wirkte weder überrascht noch sehr schockiert. Die meisten ihrer Arbeitgeber waren alt, sodass Krankheiten und Todesfälle nicht selten vorkamen. Sie rief einen Arzt an, und Moutier hörte sie im Lauf des Gesprächs offenbar als Antwort auf eine Frage nach seinem Alter »neunzig« sagen – auf eine befriedigt resignierte Weise, die Bände sprach, als umfasste dieses einzelne Wort einen ganzen Absatz. Das erinnerte ihn daran, wie er in seiner Werkstatt gestanden und Staub und Leim und Firnis eingeatmet hatte, während er ein sich in Wohlgefallen auflösendes Schränkchen begutachtet und »Na, sehen wir’s uns mal an« gesagt hatte, obwohl er in Wirklichkeit schon darüber nachdachte, wie er den Kunden damit heimschicken konnte.

Ein Hausbesuch wurde für den Nachmittag vereinbart, aber wie um die unausgesprochene Diagnose zu bestätigen, fragte die Zugehfreu Moutier nach seinem Adressbuch, damit sie seine nächsten Angehörigen anrufen konnte. Moutier besaß ein Adressbuch, aber keine nahen Angehörigen außer seiner Tochter Josephine, die das kleine Buch trotzdem fast allein ausfüllte, weil sie ständig umzog. Seite um Seite stand voller durchgestrichener Postfachnummern und langer ausländischer Telefonnummern. Die Haushälterin wählte die letzte Nummer und hörte das Summen und Pfeifen großer Entfernungen, bevor sich eine Stimme meldete, die Englisch sprach, das sie nicht verstand, sodass sie wieder auflegte. Moutier sah sie zögern, aber wie um die Diagnose nochmals zu bestätigen, verließ sie dann die Wohnung, um den pensionierten Lehrer zwei Etagen tiefer aufzusuchen – einen schüchternen kleinen Mann, den Moutier immer für einen Kretin gehalten hatte, aber wie großartig musste man als Linguist schon sein, umvotre père va mourir inyour dad is going to die übersetzen zu können?

Die Haushälterin kam mit dem Lehrer zurück, beide vom Treppensteigen ein bisschen außer Atem. Und der kleine Mann rief noch mal dieselbe Nummer an und verlangte Josephine Moutier.

»Nein, Reacher,imbécile«, sagte Moutier mit einer Stimme, die ein kraftvoller Bass gewesen war, aber nun jämmerlich schwach, fast bittend klang. »Sie ist eine verheiratete Reacher. Josephine Moutier kennt dort niemand.«

Der Lehrer entschuldigte sich, verbesserte sich und verlangte Josephine Reacher. Er hörte kurz zu, dann bedeckte er die Sprechmuschel mit der Hand, sah Moutier an und fragte: »Wie heißt der Ehemann Ihrer Tochter? Ihr Schwiegersohn?«

»Stan«, sagte Moutier. »Aber nicht Stanley. Einfach nur Stan. So steht’s in seinem Pass. Das habe ich selbst gesehen. Er ist Captain Stan Reacher vom United States Marine Corps.«