Kapitel 2
Er schrie nicht. Er schreckte in der frühmorgendlichen Kühle nicht keuchend und zitternd hoch.
Es war ein alter Traum, der ihn seit vierzig Jahren immer wieder heimsuchte und längst nicht mehr erschütterte. Im Gegenteil, inzwischen war er fast ein alter Freund, der ab und zu vorbeischaute und ihn an dieses außerordentliche Versagen erinnerte, diesen schicksalhaften Moment, als er es gesehen hatte – er hatte esgesehen –, aber nicht rechtzeitig reagiert, nicht schnell genug begriffen, war erstarrt.
Manchmal, so wie in dieser Nacht, gestattete ihm der Traum einen neuen Versuch, ließ ihn rechtzeitig reagieren, ließ ihn das Richtige tun.
Die meiste Zeit entfaltete sich der Traum jedoch genauso wie dieser schreckliche Moment, und es war weniger ein Traum als vielmehr eine Erinnerung, die er im Schlaf durchlebte. Malcolm, der nichts tat, der nicht begriff, was er sah, der nicht erkannte, was gleich passieren würde, bis es schließlich passierte. Er hatte versagt. Der Schuss fiel. Die Kugel schlug in Martin Luther King ein wie ein Nagel in ein Stück Holz. Blut spritzte.
Malcolm Toussaint stand da, keine zwei Meter entfernt, und sah ohnmächtig zu.
Genug.
Er schlug die Decke zurück, setzte sich auf die Bettkante, der Dielenboden kühl unter seinen bloßen Füßen. Er hatte keine Zeit, über sein Versagen von damals zu grübeln, als Lyndon Johnson Präsident war und der Wettlauf ins All in vollem Gang. Er musste sich dem Heute stellen. Und heute würde er gefeuert werden. Vielleicht würde man ihn sogar verhaften, vermutlich gab es irgendein Gesetz, das seine Tat unter Strafe stellte.
Eine Anklage hielt er nicht für wahrscheinlich, bestimmt ließen sie ihm den letzten Rest seiner Würde – auch wenn er die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen konnte. Aber feuern würden sie ihn in jedem Fall. Und er hatte es verdient, nicht weniger als die Gewohnheitsplagiatoren und Schmierenjournalisten, über die er sich lautstark aufgeregt hatte, die dummen Lügner, die einen geachteten Beruf in Verruf gebracht hatten, der in den letzten zwanzig Jahrensein Beruf gewesen war.
Jetzt war er also einer von ihnen. Er war der neueste Skandal im Journalismus.
Eine beispiellose Karriere – aus einem schäbigen Haus au