: Leonard Pitts Jr.
: Wolfgang Franßen
: Grant Park Kriminalroman
: Polar Verlag
: 9783945133668
: 1
: CHF 16.10
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 560
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Grant Park', der dritte Roman des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Miami-Herald-Kolumnisten Leonard Pitts, Jr. spielt an zwei der eindrucksvollsten Schauplätzen amerikanischer Geschichte: am Tag von Obamas Wahl zum Präsidenten im Herbst 2008 und beim Streik in Memphis, der 1968 zur Ermordung von Martin Luther King führte. In Malcolm Toussaint, einem gefeierten Kolumnisten, verbinden sich die beiden Ereignisse. Mit 60 Jahren ist er vollkommen desillusioniert. Seine Frau ist gestorben. Ein Leser hat ihn mit dem N-Wort beschimpft. Ein weiterer schwarzer Teenager wurde von der Polizei erschossen. Es ist Wahltag. Barack Obama kann womöglich die Präsidentschaft gewinnen. Überwältigt von Verzweilung schleust Toussaint eine Kolumne an der Chefredaktion vorbei auf die Titelseite seiner Zeitung, die mehr Provokation als Kommentar ist. Er schreibt, dass er 'müde vom Bullshit der Weißen ist. Genug ist genug ist genug', was zu seiner Entlassung führt. Am gleichen Tag wird er von weißen Rassisten entführt. An einen Stuhl in einem verlassenen Lagerhaus in Chicago gekettet, hört er die Jubelrufe aus dem Grant Park, wo die Menge auf Obamas Siegesrede wartet, während seine Entführer, die White Resistance Army, planen, das Ereignis zu bombardieren. Martin Luther Kings Tod wird verbunden mit der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten. Soll man sich lieber widersetzen oder auf den langsamen Wandel von Hass und Verzweiflung bauen?

Leonard Pitts, Jr. ist Kolumnist für den Miami Herald und Gewinner des Pulitzer-Preises 2004 for commentary. Er ist Autor der Romane Grant Park, Freeman, Before I Forget und mehrerer Sachbücher. Geboren und aufgewachsen in Südkalifornien, lebt Pitts heute in einem Vorort von Washington, D.C.

Kapitel 2


Er schrie nicht. Er schreckte in der frühmorgendlichen Kühle nicht keuchend und zitternd hoch.

Es war ein alter Traum, der ihn seit vierzig Jahren immer wieder heimsuchte und längst nicht mehr erschütterte. Im Gegenteil, inzwischen war er fast ein alter Freund, der ab und zu vorbeischaute und ihn an dieses außerordentliche Versagen erinnerte, diesen schicksalhaften Moment, als er es gesehen hatte – er hatte esgesehen –, aber nicht rechtzeitig reagiert, nicht schnell genug begriffen, war erstarrt.

Manchmal, so wie in dieser Nacht, gestattete ihm der Traum einen neuen Versuch, ließ ihn rechtzeitig reagieren, ließ ihn das Richtige tun.

Die meiste Zeit entfaltete sich der Traum jedoch genauso wie dieser schreckliche Moment, und es war weniger ein Traum als vielmehr eine Erinnerung, die er im Schlaf durchlebte. Malcolm, der nichts tat, der nicht begriff, was er sah, der nicht erkannte, was gleich passieren würde, bis es schließlich passierte. Er hatte versagt. Der Schuss fiel. Die Kugel schlug in Martin Luther King ein wie ein Nagel in ein Stück Holz. Blut spritzte.

Malcolm Toussaint stand da, keine zwei Meter entfernt, und sah ohnmächtig zu.

Genug.

Er schlug die Decke zurück, setzte sich auf die Bettkante, der Dielenboden kühl unter seinen bloßen Füßen. Er hatte keine Zeit, über sein Versagen von damals zu grübeln, als Lyndon Johnson Präsident war und der Wettlauf ins All in vollem Gang. Er musste sich dem Heute stellen. Und heute würde er gefeuert werden. Vielleicht würde man ihn sogar verhaften, vermutlich gab es irgendein Gesetz, das seine Tat unter Strafe stellte.

Eine Anklage hielt er nicht für wahrscheinlich, bestimmt ließen sie ihm den letzten Rest seiner Würde – auch wenn er die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen konnte. Aber feuern würden sie ihn in jedem Fall. Und er hatte es verdient, nicht weniger als die Gewohnheitsplagiatoren und Schmierenjournalisten, über die er sich lautstark aufgeregt hatte, die dummen Lügner, die einen geachteten Beruf in Verruf gebracht hatten, der in den letzten zwanzig Jahrensein Beruf gewesen war.

Jetzt war er also einer von ihnen. Er war der neueste Skandal im Journalismus.

Eine beispiellose Karriere – aus einem schäbigen Haus au