1. KAPITEL
„Lucy Fitzgerald …?“
Santiago hatte nur mit halbem Ohr hingehört, während sein Bruder begeistert seine neueste Freundin beschrieb, die wieder „die Richtige“ war. Stirnrunzelnd blickte er auf und versuchte, den Namen unterzubringen, der ihm seltsam bekannt vorkam.
„Kenne ich sie?“
Sein Halbbruder hatte sich vor den großen vergoldeten Spiegel gestellt, der über dem imposanten Kamin hing. Er warf einen selbstgefälligen Blick auf sein Spiegelbild, fuhr sich durch das schwarze Haar und drehte sich breit lächelnd zu Santiago um. „Wenn du Lucy schon einmal begegnet wärst, hättest du es nicht vergessen. Du wirst sie lieben, Santiago.“
„Nicht so sehr, wie du dich liebst.“
Ramon betrachtete kritisch sein Profil und strich sich über den sorgfältig gepflegten Dreitagebart. „Auch Vollkommenheit lässt sich stetig verbessern.“
In Wirklichkeit nahm er gelassen hin, dass er trotz seiner Bemühungen und trotz seines schönen Profils niemals die Anziehungskraft haben würde, die sein charismatischer Bruder auf Frauen ausübte und ungenutzt ließ. Nach Ramons Meinung gehörte es sich einfach nicht, die Frauen nicht einmal zu beachten, die bereitwillig den kleinen Höcker auf Santiagos Nase übersahen – eine Erinnerung an seine Zeit als Rugbyspieler – und seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchten.
Forschend blickte Ramon seinen älteren Bruder an, der an seinem großen Mahagonischreibtisch saß. Auch wenn er viele Gelegenheiten nicht nutzte, lebte er nicht wie ein Mönch. Ebenso unvorstellbar war allerdings, dass er herumspielte.
„Hast du überhaupt vor, irgendwann wieder zu heiraten?“ Sofort bereute Ramon die unbedachte Frage. „Entschuldige, ich wollte nicht …“ Verlegen zuckte er die Schultern. Magdalena war vor acht Jahren gestorben. Obwohl er damals noch ein Teenager war, hatte er nicht vergessen, wie schrecklich der leere Blick seines Bruders gewesen war. Selbst jetzt noch konnte es genügen, ihren Namen auszusprechen, und der leblose Blick kehrte zurück. Nicht, dass Santiago nicht ständig an seine Frau erinnert wurde: Die kleine Gabriella war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.
Santiago merkte Ramon sein Unbehagen an, und aus Mitleid mit ihm verdrängte er die Schuldgefühle, die ihn bei jedem Gedanken an seine verstorbene Frau überkamen. Er zwang sich zu einem Lächeln und wechselte das Thema.
„Diese Lucy bringt dich also dazu, ans Heiraten zu denken?“, fragte er und rechnete damit, dass Ramon das entsetzt verneinte. „Sie muss ja etwas ganz Besonderes sein“, fügte er spöttisch hinzu.
„Ja, ist sie. Heirat …?“ Einen Moment lang schien Ramon wie vom Donner gerührt zu sein, dann lächelte er herausfordernd. „Warum nicht?“ Als er sich das sagen hörte, wirkte er völlig schockiert.
Santiago unterdrückte ein Stöhnen und tröstete sich mit dem Schreck seines Bruders. „Warum nicht? Du bist dreiundzwanzig und kennst diese Frau wie lange?“
„Du warst einundzwanzig, als du geheiratet hast.“
Und das ist nicht gut gegangen. Sich bewusst, dass sich sein Bruder nur auf die Hinterbeine stellen würde, wenn er zu sehr dagegen anredete, zuckte Santiago lässig die Schultern. Ramons Leidenschaft kühlte oft so schnell ab, wie sie aufgeflammt war. „Vielleicht sollte ich deine Lucy kennenlernen?“
Das streitlustige Funkeln verschwand aus Ramons Augen. „Du wirst sie lieben, Santiago, du wirst gar nicht anders können. Sie ist perfekt, eine …“ Ram