1. Die Ursprünge der Motivierenden Gesprächsführung
1.1 Psychologische Konzepte und psychotherapeutische Theorien
In den 1980er-Jahren herrschte im therapeutischen Setting ein behavioral ausgerichteter Beratungsstil vor, der Verhalten mit positiver und negativer Verstärkung zu verändern versuchte. Der damalige Grundgedanke der Behandlung war: Erst wenn der Klient erkennt, dass er ein Problem hat, kann ihm geholfen werden. Daher war eine Konfrontation mit dem Problem und die dadurch erhoffte Selbsterkenntnis ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Keine ganz falsche Idee, nur erscheint die Methode, um den Menschen beim Erlangen der Erkenntnis zu helfen, aus heutiger Sicht eher zweifelhaft. Die Autorität des Beratenden und die Konfrontation des Klienten in einem lenkenden und asymmetrischen Beratungsstil hatte begrenzte Effekte und erreichte nur einen Teil der Klienten.
1.1.1 Paradigmenwechsel in Richtung Nonkonfrontation
William R. Miller, ein amerikanischer Psychologe, entwickelte aus seiner täglichen praktischen Erfahrung und seiner Arbeit mit Suchtpatienten andere, nonkonfrontative Gesprächsführungstechniken. Miller begann in den frühen 1980er-Jahren mit einigen Kollegen, das Konzept der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie(Client-Centered Therapy) von Carl Rogers in die Therapie von alkoholabhängigen Patienten zu integrieren, und publizierte dazu erste vergleichende und methodisch hochwertige Studien. Für die damalige Zeit völlig überraschend, zeigten diese, dass die Patienten, die eine Beratung mit einem klientenzentrierten Ansatz erhalten hatten, in ihrer Alkoholabstinenz signifikant erfolgreicher waren als die Patienten mit der konventionellen Therapie. Mit dieser Erfahrung reiste er 1983 nach Norwegen und stellte dort Kollegen, die den „alten“ Ansatz praktizierten, seine damals noch implizite Methode aus der klinischen Praxis vor. Motiviert durch diese Vorstellung und die Interaktivität mit den Kollegen, die ihn in einem Diskurs immer wieder ersuchten, sein therapeutisches Tun theoretisch zu erklären, verfasste er eine erste Anleitung und die theoretischen Hintergründe dazu. Im Anschluss daran entstand ein erstes Model der Motivierenden Gesprächsführung und eine erste verschriftlichte klinische Anleitung.
In Australien lernte Miller später (1989) Stephen Rollnick, einen englischen Psychologen, kennen. Dieser hatte in Großbritannien die Anwendung von Motivierender Gesprächsführung kennengelernt und erforschte und publizierte die Anwendung der Technik auf Gebieten jenseits der Therapie der Alkoholabhängigkeit. Beide entwickelten die Technik gemeinsam weiter. Im Jahre 1991 veröffentlichten sie das erste gemeinsame Lehrbuch zur Motivierenden Gesprächsführung.
Dieses Lehrbuch basierte auf ihren Erfahrungen mit Suchtpatienten und trug insbesondere dem Umstand Rechnung, dass der konfrontativ-behaviorale therapeutische Ansatz keine adäquate und zufriedenstellende Antwort auf die Notlage der Patienten war. Im Gegenteil: Diese Art der Therapie führte bei den Patienten oft zu Ablehnung und Dissonanz (mehr über Dissonanz erfahren Sie inAbschnitt 4.4). Daher erforschten Miller und Rollnick die Perspektive des Patienten und integrierten Elemente der klientenzentrierten Therapie in