1. KAPITEL
Blake Webber schwenkte das Glas mit dem Drink hin und her, während er ungläubig auf den Bildschirm blickte. Dort gab sich gerade ein in goldenes Licht getauchtes Pärchen sexueller Ekstase hin. Die Beine der Frau waren um die Hüften des Mannes geschlungen, ihr langes blondes Haar fiel ihr weit über den nackten Rücken. Sie warf den Kopf in den Nacken und formte mit dem Mund ein perfektes „Oh“, als hätte sie gerade den Orgasmus ihres Lebens. Dazu erklang aus den Boxen die sonore Stimme des Erzählers.
„Lassen Sie die tantrische Energie fließen. Sie werden spüren, wie die Macht des Tantra Ihren Körper durchflutet, während sich männliche und weibliche Energie verbinden. Eine Welle höchster Verzückung wird Sie und Ihren Partner zu einer neuen Ebene sexuellen Genusses aufsteigen lassen. Sie werden ein neues Bewusstsein erlangen und absolute Harmonie mit Ihrem Partner und dem Rest der Welt empfinden. Synchrones, kontrolliertes Atmen ist wichtig …“
Das reichte! Blake drückte den Ausschaltknopf der Fernbedienung. Selbst auf seinem beeindruckenden Großbildschirm mit exzellentem Soundsystem konnte ihn diese Tantra-Geschichte nicht überzeugen.
Allerdings wurde das Thema zunehmend beliebter, und vielleicht verbarg sich dahinter ja die Story, die er brauchte, um der Konkurrenz mal wieder eine Nasenspitze voraus zu sein. Er zählte bereits zur Oberliga der Chicagoer Enthüllungsjournalisten, aber dauerhaft mitspielen konnte da nur, wer am laufenden Band Artikel über Trends schrieb, die die anderen noch gar nicht richtig wahrgenommen hatten. Außerdem wollte er nicht einer von mehreren guten Enthüllungsjournalisten sein, sondern der beste. Er strebte den Pulitzerpreis an. Versonnen lächelte er vor sich hin. Diese Geschichte würde ihm gewiss keinen Pulitzerpreis einbringen, aber sie könnte eine Zwischenstation auf dem Weg dahin sein.
Sein journalistischer Instinkt hatte ihn noch nie getrogen. Blake hatte ein todsicheres Gespür für eine gute Story. Dieser Begabung verdankte er seine hochdotierte Stelle beim „Chicago Phoenix“ und seinen Ruf, den Finger am Puls der amerikanischen Gesellschaft zu haben.
Auch diesmal hatte er das Gefühl, wieder einmal etwas Spannendem auf der Spur zu sein. Doch zum ersten Mal in seiner Karriere blieb aus unerfindlichen Gründen der Forscherdrang aus, der ihn sonst in solchen Momenten überkam.
Er schob seine Unlust darauf zurück, dass ihm die Recherchen in diesem Fall einiges abverlangen würden. Natürlich war dieser Umstand in seinem Job praktisch normal, und er hatte sich davon auch nie abschrecken lassen. Sein Traumberuf brachte es nun einmal mit sich, dass er sich hin und wieder in Situationen begab, die er privat tunlichst meiden würde. Vielleicht waren seine Eltern deshalb der Ansicht, seine hervorragende Ausbildung wäre verschwendet. Sie hatten sogar lauthals protestiert, als er sich für die Journalistenlaufbahn entschied, und hofften bis heute, er würde irgendwann zur Vernunft kommen und eine „richtige“ Karriere anstreben.
Nun, darauf konnten sie lange warten.
Blake war entschlossen, sich in der rauen Welt des Enthüllungsjournalismus durchzusetzen, ganz gleich, was er dafür auf sich nehmen musste. Er identifizierte sich voll mit seinem Beruf. Er war der Mann, der Fakten ans Tageslicht zerrte und sie der amerikanischen Öffentlichkeit präsentierte. Er sagte den Leuten auf den Kopf zu, was los war, und ermutigte sie, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
Er hatte sich schon in den schrecklichsten Spelunken herumgetrieben, sich die merkwürdigsten Verkleidungen zugelegt, von denen einige bis an die Grenze des Zumutbaren gegangen waren. Noch heute erschauderte Blake bei dem Gedanken an das Transvestitendebakel. Bei den Recherchen hatte er sich mit den merkwürdigsten Typen anfreunden müssen, um an Information