MAXI - BACK HOME AGAIN
„Maxi!“
Das Gedränge in der Ankunftshalle war so groß, dass Maxi ihren Vater nicht sofort entdeckte. Erst als sie den glitzernden Pony-Ballon mit dem SchriftzugWelcome home! über den Köpfen der vielen Menschen schweben sah, wusste sie, in welche Richtung sie ihren Koffer rollen musste.
„Nick!“ Sie fiel ihrem Vater um den Hals, hielt ihn dann auf Armeslänge und betrachtete ihn kritisch. „Du hast ja noch mehr weiße Haare gekriegt!“
„Und du bist noch hübscher als vor drei Monaten!“, gab Nick mit einem Grinsen zurück. „Aber dein Charme ist ausbaufähig.“
„Lass mich ausreden“, erklärte Maxi und grinste ebenfalls breit. „Ich wollte sagen, dass du mit jedem weißen Haar besser aussiehst. Es ist echt fies, wie gut manchen Männern das Älterwerden steht.“
Nick lachte. „Noch mal die Kurve gekriegt“, meinte er, drückte seiner Tochter einen Kuss auf die honigblonden Locken und griff nach ihrem Koffer. „Und du hast natürlich völlig recht.“
„Wie geht’s den Pferden?“, fragte Maxi.
Nick lachte. „Da denke ich in meiner Naivität, du möchtest vielleicht wissen, wie es deiner Mutter oder deinem Bruder geht ...“
„Heee!“, unterbrach Maxi ihren Vater und knuffte ihn energisch mit dem Ellbogen. „Ich habe gestern noch mit Stella auf Facebook geschrieben, sie steckte bis über beide Ohren in Arbeit, und abgesehen davon ging es ihr blendend. Heute hat sie blöderweise eine Lesung in Altenburg und wird erst später zu Hause sein. Und mit Justus habe ich gewhatsappt, da saß er im Zug, auf dem Weg zu seinem ersten Golfturnier. Er kommt morgen Nachmittag wieder.“
„Ich sehe, du bist vollkommen up-to-date“, erklärte Nick, „und leiste augenblicklich Abbitte.“
„Dann ist es ja gut“, sagte Maxi zufrieden. „Nur die Pferde haben noch keinen Social-Media-Zugang, und meine letzten Nachrichten sind von vorgestern. Also: Wie geht’s den Pferden?“
„Keine Sorge“, antwortete Nick mit einem Lächeln. „Es geht ihnen gut. Allen fünfunddreißig.“
„Fünfunddreißig?“ Maxi blieb stehen und starrte ihren Vater mit weit aufgerissenen Augen an. „Heißt das ...?“
„Ja.“ Nicks Lächeln wurde noch breiter. „Das Fohlen ist da, und alles ist gut gegangen. Heute vier Uhr zweiundzwanzig morgens. Als ich losgefahren bin, ist sie schon rumgestakst.“
„Es ist ein Stutfohlen?“
„Ja, ein Mädchen. Rothaarig. Eine Bombenfigur, Beine bis zum Himmel ...“
„Nick!“ Ihr Vater kokettierte nach all den Jahren immer noch mit seiner Pferde-Ahnungslosigkeit, die längst nicht mehr der Realität entsprach. „Also fuchsfarben?“
„Jawohl, fuchsfarben. Mit einem Orden auf der Stirn. Oder sagt man Brosche? Anstecknadel? Nein, das war es auch nicht ...“
„Abzeichen“, unterbrach Maxi. „Man sagt Abzeichen und das weißt du auch ganz genau.“
„Jedenfalls trägt die Kleine weiße Stiefelchen, sehr kleidsam“, fuhr Nick völlig unbeeindruckt fort. „Und Lara hat bereits ihr Horoskop errechnet. Hupfdohle Aszendent Apfelbaum, wenn ich mich nicht täusche“, fuhr er dann fort. „Was offenbar dafür spricht, dass sie mindestens Präsidentin wird. Oder Hollywoodstar. Wir anderen sind hauptsächlich gerührt und leiden unter Schlafmangel.“
Zur Bekräftigung gähnte ihr Vater herzhaft und Maxi lachte. Sie umarmte ihn erneut, drückte ihn und meinte: „Ich bin siebenundzwanzig und erwachsen und sollte das wahrscheinlich nicht sagen, aber ich hab dich schrecklich vermisst.“
„Kein Wunder“, antwortete Nick und drückte liebevoll zurück. „Ich bin ja auch dein größter Fan.“ Sie waren beim Parkplatz angelangt und Nick steuerte Maxis großen Rollenkoffer souverän zwischen den Autos hindurch auf einen zwanzig Jahre alten Landrover Defender zu, der neuerdings sein ganzer Stolz war. Seit er den Wagen gekauft hatte, bastelte er ständig daran herum und bestellte seltene Originalteile, die er dann in stundenlanger, genussvoller Kleinarbeit einbaute. Er liebte den Wagen.
„Und wo wir gerade von Fans reden ...“, fügte Nick hinzu, „Marcel war nur unter Androhung von Gewalt daran zu hindern, zum Flughafen zu kommen. Ich fürchte, er ist jetzt zutiefst verunsichert und holt sich Rat bei Frau Helgas Kummerecke im Wieselberger Dorfanzeiger.“
Maxi lachte laut auf. „Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Marcel zu verunsichern. Und wenn, dann nur über sein Golf-Handicap, nicht über ein verschobenes Date.“ Sie sah ihren Vater von der Seite an. „Und?“, fragte sie. „Du hast es doch hoffentlich geschafft, ihn auf morgen zu vertrösten?“
„Das Schicksal hat mir insofern in die Hände gespielt“, antwortete Nick, während er Maxis Koffer in den Laderaum des Defender hievte, „als seine Schwester für heute Abend dringend einen Babysitter für die Zwillinge gesucht hat. Also wird ihm wenigstens nicht langweilig, während er sich vor Sehnsucht nach dir verzehrt.“
Maxi schüttelte mit ungläubigem Gesichtsausdruck den Kopf. „Wenn mir vor zehn Jahren jemand erzählt hätte, Vonnie würde als Erste meiner Freundinnen heiraten und Kinder kriegen, dann hätte ich denjenigen ausgelacht.“
„Du hättest denjenigen schon ausgelacht, wenn er dir erzählt hätte, dass du Vonnie jemals als deine Freundin bezeichnen würdest!“
„Stimmt“, antwortete Maxi. „Ich hätte vieles nicht geglaubt, wenn es mir jemand vor zehn Jahren erzählt hätte.“
Sie sah aus dem Fenster und war dabei, sich in ihren Gedanken zu verlieren, als sie durch einen heftigen Ruck wieder ins Hier und Jetzt geholt wurde. Ihr Vater war über das kleine Mäuerchen gefahren, das ihre Parkplatzreihe von der nächsten abgrenzte. „Für dich ist jetzt überall Straße, oder?“, fragte sie grinsend.
„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete ihr Vater unschuldig. „War da was?“
Maxi lachte. „Du hast eindeutig deinen Beruf verfehlt“, meinte sie. „Du hättest irgendwas mit alten Autos machen sollen. Oder mit Wein.“
„Oh, seit deine Mutter reich und berühmt ist, mache ich ständig was mit alten Autos und mit Wein!“, erklärte Nick und lachte. „Ich kann echt nicht klagen.“
Nick und Stella Klauser waren ein Kreativteam, das unter dem NamenProjektfabrik Klauser Werbekampagnen entwarf – vorwiegend für Kunden aus dem Tourismus-Bereich. Sie waren gut im Geschäft und hatten sich in den fast fünfzehn Jahren, die sie nun in dem kleinen Dorf Wieselberg lebten, einen festen Kundenstamm aufgebaut. Die hiesigen Hotel- und Feriendorfbetreiber, Restaurant- und Cafébesitzer arbeiteten lieber mit kleinen familiären Betrieben wie den Klausers zusammen als mit großen Agenturen. Trotz der guten Auftragslage hatte Stella, Maxis Mutter, sich kreativ nicht ausgelastet gefühlt und „nur zum Spaß“ einen Krimi geschrieben, der im ländlichen Milieu spielte – genau genommen in einem kleinen Dorf namens Nussbach, das verdächtig an Wieselberg erinnerte. Das fertige Manuskript hatte sie an einen Bekannten geschickt, der im Lektorat eines großen Verlages arbeitete, und von da an war alles unglaublich schnell gegangen:Nacht in Nussbach verkaufte sich in den ersten Wochen nach Erscheinen schon über dreißigtausend Mal, mittlerweile waren noch einmal so viele Exemplare weg. Stella hatte bereits Verträge für einen zweiten und dritten Band unterschrieben, sie gab Zeitungs- und Radiointerviews, trat in Talkshows auf und war bei all dem unversehens zu einer Wieselberger Lokalberühmtheit geworden. Derzeit sollte sie eigentlich mit Hochdruck am Nachfolgeband (Arbeitstitel:Kein Mord ist nicht verboten) arbeiten, laborierte aber an einer Schreibblockade. „Ich weiß nicht, ob es in Wieselberg genug kriminelle Inspiration für noch einen Krimi gibt“, klagte sie. „Immer diese Idylle! Wie soll man da über Mord, Verrat und Erpressung schreiben!“
Ihre Familie vermutete, dass Stella Panik schob, weil sie fürchtete, den Erfolg nicht wiederholen zu können – aber das war eben das Schicksal von Bestsellerautoren. Da musste sie durch.
Maxis Vater hatte nicht das geringste Problem mit der plötzlichen Popularität seiner Frau: Er genoss den Umstand, dass der finanzielle Druck, den man als Freiberufler gewohnheitsmäßig zum ständigen Begleiter hat, sank, und sagte in letzter Zeit öfter Nein zu Aufträgen, die ihn nicht wirklich reizten.
„Wirst du Kanada vermissen?“, fragte Nick plötzlich.
„Oh, Kanada war o.k., aber doch zu nahe an zu Hause – Australien wär gut oder Neuseeland ...“ Der...