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In Memmunyet
27. April 1552 NGZ
»Gepriesen sei Hilo-Gar, begrüßt alle den Morgen und die Gründerin, betet um den Frieden des Tages!«
Die Mannona stand auf dem Podest, die Arme erhoben, und führte den Gesang an. Der Chor antwortete ihr und vollzog die rituellen Bewegungen.
Die ganze Stadt war auf den Beinen, überall standen die Merakylan auf Emporen, Dächern und Balkonen, drängelten sich in den Straßen. Nicht alle waren Einwohner, sondern für viele war die Feier Anlass, in die Hauptstadt zu kommen und die Sieben Wahrzeichen zu besuchen.
So wurde aus dem melodiösen Gesang bald ein gewaltiger Krach, als das Echo von den Häuserwänden zurückschallte und die Klangstärke nicht nur vervielfachte, sondern auch einen mehrstimmigen Kanon schuf, der in der Reihenfolge völlig durcheinandergeraten war. Verstärkt wurde dies durch das rhythmische Fußstampfen und Händeklatschen.
Sämtliche Merakylan trugen an diesem Tag ihre schönsten, wallenden Seidengewänder, die in allen nur möglichen Farben schillerten. Unter den halb durchsichtigen Stoffen schimmerten die individuellen Muster der normalerweise hellblauen Schuppen, die sich ebenfalls in prächtigen Schattierungen präsentierten.
Die langen und gebogenen, blauschwarzen Krallen an den Zehen der in wadenhohen Schnürsandalen steckenden Füße waren auf Hochglanz poliert.
Shanlandiri, die weiße Lebensspenderin, läutete den Sommerbeginn mit strahlendem Schein und angenehmen Temperaturen ein.
Je höher sie stieg, desto mehr streckten die Merakylan die Zungen zum Schmecken heraus, was sie nicht im Kehlkopfgesang behinderte. Manche hielten sich an den hoch erhobenen Händen und tanzten durch die Straßen. es gab keinerlei Verkehr, alles stand im Zeichen des Sommerfestes, des Neujahrsbeginns.
Nachdem die Lobpreisungen beendet waren, bewegten sich die Merakylan fröhlich durch die Straßen. Die Fabriken, Montagehallen, Büros und Geschäfte hatten geschlossen, lediglich die Straßenhändlerinnen boten ihre Waren feil und machten die besten Geschäfte des Jahres. Sie empfanden diesen Tag nicht als Arbeit, sondern als Vergnügen.
Vor allem der Markt von Nashnapar stand ganz im Zeichen der Energie. Schuppenfärbemittel, die feinsten Stoffe, Krallenpolituren, Krallenaufsätze für die Finger, Verwöhnschlammbäder, Schmuck, Fruchtbarkeitshelfer, Brut- und Nestpflegemittel, Klangbäume, Zirptuten, Sensorgongs, Lichtschmeckintensivatoren, und dazu Nahrungsmittel, roh und gegart in Hülle und Fülle, von der gesamten Südhalbkugel herbeigeschafft. Und für dampfende Vielfarbcocktails durfte das einzigartige Nordeis nicht fehlen, aus jener Region, in der ewiges Dunkel herrschte. Das Sommereis war in der Konsistenz cremiger, das Wintereis hingegen zu klaren Würfeln gepresst.
Selbst die Ärmsten der Armen kamen auf ihre Kosten: Wer bedürftig war, bekam alles kostenlos und mit guten Worten. Manche aufstrebenden Firmen nutzten den Tag als Börse, um neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen; mit Gongs und Hupen machten sie auf ihre großen Tafeln aufmerksam.
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Shanny und Shescuran hatten sich am Gebet beteiligt und streiften über den Markt, um von den zahlreichen Angeboten an Naschwerk zu kosten und die eine oder andere Verlockung zu erstehen.
Die ersten Betrunkenen torkelten umher, kichernd und feixend. Shescuran geriet in das Visier einer Gruppe aus vier Frauen, die, den bunten Schuppenfarben nach zu urteilen, auf Bräutigamschau waren. Das Neujahr läutete die Fortpflanzung ein. Auch sie hatten schon einiges intus, wirkten aber eher beschwipst als volltrunken