Neben mir steht ein junger Mann. Er sieht europäisch aus. Der Einzige außer mir. Er erzählt, dass auch er wegen einer Einladung hier sei. Seine zukünftigen Schwiegereltern möchte er einladen. Diese leben in Vietnam und wollen zu Besuch kommen. Schon einmal hat er die ganze Bürokratie auf sich genommen, aber es hat nicht geklappt. Warum weiß er nicht. Jetzt startet er einen neuen Anlauf.
Für mich ist es das erste Mal und ich bin wirklich gut vorbereitet. Sagt auch die Dame hinter der Glasscheibe. Mein Honorar sei ausreichend, allerdings nur für einen Gast, wollte ich noch jemanden aus der Familie einladen, wäre es zu wenig. Ich beantworte viele Fragen und die Dame tippt alles in den Computer. Irgendwann kann ich mir nicht verkneifen zu fragen, ob sie meine Schuhgröße auch noch brauche (eigentlich wollte ich die BH-Größe anbieten, aber ich will ja niemanden verärgern). Tue ich auch nicht und wir lachen zusammen.
Dann plötzlich eine Frage, auf die ich nicht vorbereitet bin. Wo ist denn Herr P. geboren? Mir wird heiß und kalt. „Steht das nicht in seinem Pass?“, antworte ich. Natürlich gehört zu meinem Dokumentenstapel auch eine Kopie dieses wichtigen Dokuments. Ja, ja, dort steht Republik Burjatien, aber in dem Formular, welches die Dame sorgfältig ausfüllt, wird nach dem Ort gefragt. In meinem Kopf rattert es. Elf Kinder, alle in Uojan aufgewachsen, einem sehr kleinen Dorf in Ostsibirien, dort in der Nähe gibt es kein Krankenhaus. Mein Gefühl sagt mir, die Mutter hat sicher alle Kinder zu Hause bekommen, doch was, wenn das falsch ist und sie viele Kilometer in die nächste Stadt musste? Wird dann kein Visum erteilt? Was mache ich denn jetzt? Ich zücke mein Handy. Rufe ihn an. Doch die sechs Stunden Zeitunterschied bedeuten, dass er vermutlich gerade Feierabend hat. Er schwitzt sicher in der Banja oder hackt Holz oder was auch immer. Jedenfalls geht er nicht ran.
„Was soll ich denn nun hinschreiben?“, fragt die Frau. Ich entscheide mich für Republik Burjatien. Lieber ungenau, dafür aber richtig, als ein Dorf, das dann doch falsch sein könnte.
Meine Laune ist im Keller. Hoffentlich ist jetzt nicht alles umsonst. Wegen so einer blöden Kleinigkeit. Missmutig zahle ich fünfundzwanzig Euro, bekomme ein A4-Blatt, das vom Papier her wirkt wie ein wichtiges Dokument, mit Unterschrift und Stempeln.
Ich bin im Auto, als Tolja zurückruft. „Was gibt’s?“ Ich versuche zu erklären, wo ich war und dass ich wissen möchte, wo er geboren wurde. „Na in Burjatien natürlich.“ „Ja, aber wo da?“ „Na, zu Hause.“ „Also in Uojan?“, frage ich nach. „Ja, natürlich.“ Hätte ich mich mal auf mein Gefühl verlassen. Trotzdem rede ich mir ein, dass Burjatien ja auch nicht falsch sei und zumindest mit dem Pass übereinstimme. Wird schon klappen.
Die Dokumente müssen nun nach Sibirien. Aber nicht zu Tolja nach Hause, sondern zum deutschen Konsulat in Nowosibirsk. Und zwar persönlich. Nowosibirsk ist über zweitausend Straßenkilometer von Toljas Wohnort entfernt.
Dorthin fahren würde Tage dauern, fliegen kostet viel Geld. Eine einzige Reise würde auch nicht ausreichen. Zuerst müsste man den Antrag abgeben und dann später den Pass wieder abholen. Dort warten, bis eine Entscheidung gefallen ist, geht auch nicht. Dafür müsste man für ungefähr zehn Tage eine Unterkunft haben usw. Die Unterlagen und den Pass mit einer besonderen Dokumentenpost zu schicken ist teuer und unsicher. Doch das Internet ist schlau. Ich habe