Der Wind fuhr durch die kahlen Zweige der Bäume, dass sie ächzten und stöhnten. Wo der Schnee bereits weggeschmolzen war, lagen noch die Blätter vom Vorjahr schwarz und feucht auf der Erde. Die Wolken hingen tief und grau am Himmel. Novemberwetter. Dabei war es Anfang März, und die Vögel probten bereits ihre Liebeslieder.
Nur wenige Menschen standen fröstelnd um das offene Grab. Der Geistliche hatte sich bereits verabschiedet. Es war eine Beerdigung im engsten Familienkreis gewesen. Der Verstorbene hatte es sich so gewünscht.
Angelika drängte sich eng an ihren Mann. Er legte den Arm um sie.
»Meinst du nicht –?«, fragte er flüsternd.
Sie schaute zu ihrer Mutter hinüber und schüttelte ärgerlich den Kopf. So lange Ella Hansen unbeweglich, in Gedanken oder Gebet versunken, am Grab ihres Mannes stand, mussten sie eben warten.
Der Verstorbene, Heinrich Hansen, ein angesehener Rechtsanwalt, war nach langer schwerer Krankheit endlich von seinem Leiden erlöst worden.
»Der Frühling hat ihn geholt«, hatte Ella gesagt. Und erzählt, dass er noch die Amseln singen gehört hatte. »Es ist gut so!«, hatte sie tapfer hinzugefügt.
Ja, es war wirklich gut. Aber – was wurde jetzt aus ihr? Sie war so viel jünger als ihr verstorbener Mann, und jetzt war sie plötzlich allein! Die letzten Jahre hatte die Aufgabe, ihn zu pflegen, sie vollkommen ausgefüllt. Aber wie würde sie mit der Einsamkeit zurechtkommen?
Darüber hatte man schon öfter gesprochen, auch ihr Mann, Heinrich, der Vater von Angelika, hatte sich darüber Gedanken gemacht. Er war siebzehn Jahre älter gewesen, achtundsiebzig, als er starb. Ella war erst einundsechzig. Und sah aus wie höchstens Mitte, Ende fünfzig. Nicht die letzte Zeit, in der sie so überarbeitet und unglücklich gewesen war. Aber zuvor. Und bestimmt auch, wenn sie sich wieder erholt hatte.
Auch die dreizehnjährige Franziska, das einzige Enkelkind, schaute immer wieder zu ihrer Großmutter hin. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Es half doch nichts, wenn sie sich alle einen Schnupfen holten! Und man hatte doch immer gesagt, sogar Opa selbst, dass die Schmerzen einfach unerträglich waren. Es war doch wirklich eine Erlösung! Er war so tapfer gewesen! Sie schnupfte auf.
Als sie zu ihrer Mutter hinsah, schüttelte diese verweisend den Kopf. Papi drehte das Gesicht zur Seite. Man sah ihm an, dass er auch gern gegangen wäre.
Sie holte tief Luft – und trat leise zu ihrer Großmutter.
»Omi! Bitte! Es ist so kalt!«
Ella sah sie an. Sie war ganz weiß im Gesicht, nur die feine kleine Nase war von der Kälte gerötet.
»Natürlich«, erwiderte sie mit dünner Stimme. »Entschuldigt. Du hast ja recht, Franzi. Es ist nur – ich habe solche Angst davor, nach Hause zu kommen!« Und jetzt weinte sie zum ersten Mal an diesem Tag.
»Omilein!« Franzi weinte sofort mit.
»Was redest du da?!« Auch Angelika war zu ihrer Mutter getreten und hatte sie in die Arme genommen. Auch ihr liefen Tränen über die Wangen. »Du kommst jetzt mit uns nach Hause! Es ist doch das Haus, das ihr uns geschenkt habt, du und Vater! Es ist selbstverständlich, dass du, solange du willst, bei uns bleibst! Vater würde das auch so wollen! Wir lassen dich doch nicht allein!«
»Ja!« Ella nickte und wischte sich die Tränen ab. Gott sei Dank musste sie nicht in die leere Wohnung zurück. Heute nicht und vielleicht auch nicht die nächsten Tage.
Dr. Frank Rieder, Anwalt wie sein verstorbener Schwiegervater, ging langsam hinter den dreien her: Schwiegermutter, Ehefrau und Tochter.
Er hatte beide Schwiegereltern immer sehr geschätzt und sich ausgezeichnet mit ihnen verstanden. Er und Heinrich waren sich darüber im Klaren, dass es auf die Dauer nic