Kapitel 2
Früher als geplant kommt Cathérine aus Paris zurück und parkt ihren staubigen Landrover auf dem Kiesweg im Park.
Sie geht durch die Pforte, die in den quadratischen Innenhof führt, und überquert ihn Richtung Herrenhaus. An den Stallungen bleibt sie einen Moment stehen. Aus einer der Boxen hört sie Miras Schnauben. Sie öffnet den oberen Teil der Stalltür, und Mira streckt ihren Kopf heraus. Cathérine streicht mit ihren Händen über Miras Nüstern, sagt ein paar beruhigende Worte und geht weiter.
Cathérine ist eine große Frau, Anfang Fünfzig, die trotz zunehmenden Alters ihre schlanke Figur behalten hat. Der ideale Körper für maßgeschneiderte Hosenanzüge, die sie früher bevorzugte. Feinste englische Tuche. Glencheck, dunkelblauer Nadelstreifen. Leinenstoffe.
Heute trägt sie eine dünne weiße Gabardinehose und eine karierte kurzärmelige Hemdbluse. Ihre braungebrannten Arme haben zwar an den Innenseiten ein paar Falten und schlaffe Hautstellen, aber dennoch: Cathérine ist eine attraktive Frau, die ihr Alter besser und erfolgreicher in den Griff bekommen hat als andere.
Früher, als sie noch auf der Bühne stand, waren ihre blonden Haare lang bis auf die Schultern, glatt geschnitten mit Pony. Ihr Markenzeichen sozusagen. Doch seit vielen Jahren sind die Haare nun kurz, was ihren androgynen Typ noch unterstreicht.
Vor der Freitreppe parken Monikas gelber Clio, ein schwarzer Golf Cabrio und der beige R4 von Emmanuelle, der Haushälterin.
Kein menschlicher Laut ist zu hören. Nur das Schreien der Zikaden in den Bäumen der Pinienallee durchbricht die Stille.
Cathérine benutzt den Seiteneingang, durch den früher Dienstboten und Lieferanten kamen, und betritt einen Flur. Er ist kühl und dunkel. Für einen Moment schließt Cathérine die Augen. Der Kontrast zu dem gleißenden Licht der Nachmittagssonne ist so stark, daß kleine schwarze Flecken vor ihren Pupillen auf- und abtanzen.
Am Ende des Flurs erstreckt sich die Eingangshalle, von der aus diverse Türen in die Salons und Kaminzimmer führen.
Die Tür zum venezianischen Salon steht einen Spalt offen. Cathérine geht darauf zu und will gerade etwas sagen, da sieht sie durch den Türspalt Monika und Lucienne.
Die beiden stehen mitten im Raum. Lucienne hat Monika mit beiden Armen umschlungen. Monika hält Luciennes Gesicht in ihren Händen, und die beiden küssen sich. Sie haben die Augen geschlossen. Ihr Kuß wird immer heftiger, und Cathérine sieht, wie Monikas linke Hand jetzt Luciennes rechte Brust umschließt.
Cathérine dreht sich weg. Geräuschlos entfernt sie sich und öffnet die Tür zur Bibliothek. Als sie sie hinter sich geschlossen hat, steht sie eine Weile reglos da und starrt auf den Lichtstreifen, der durch den geschlossenen Fensterladen ins Zimmer fällt.
Also doch! denkt sie, ich habe es geahnt. Es hätte mich auch gewundert, wenn sie sich geändert hätte. Das haben die beiden ja schön eingefädelt ... Cathérine atmet tief durch und gibt sich einen Ruck. Jetzt hat sie endlich den Beweis. Betont leise geht sie zurück zum venezianischen Salon und beobachtet die beiden durch den Türspalt. Monika liegt inzwischen in einem der Sessel, Lucienne beugt sich über sie.
»Sag mir, daß du mich liebst.« Luciennes Stimme ist fordernd.
»Ich liebe dich«, flüstert Monika, und Lucienne preßt ihre Lippen auf ihren Mund. Monika schlingt ihre Arme um Lucienne und zieht sie an sich. Lucienne legt sich auf sie, ohne von ihren Lippen zu lassen. Mit ihrem Knie zwingt sie sanft Monikas Beine auseinander, aber die öffnen sich nur allzu bereitwillig. Lucienne bewegt sich rhythmisch zwischen Monikas Schenkeln.
»Begehrst du mich?« fragt Lucienne, und der Druck ihrer kreisenden Bewegungen wird immer stärker.
»Ja. Hör nicht auf!«
Lucienne dreht sich jetzt abrupt zur Seite, um mit der rechten Hand nach Monikas Schoß zu greifen. Monika stöhnt laut.
»Tut das gut? Willst du es so?«
»Ja«, flüstert Monika heiser und bewegt sich auf und ab.
Angewidert und mit einer grenzenlosen Leere im Herzen verläßt Cathérine ihren Beobachtungsposten.
***
Zum zweiten Mal klingelt das Telefon. Als er den Hörer abnimmt, wird wieder aufgelegt.
François Berrière, Politiker und Präfekt des Départements, ist ein Mann, der viel Wert auf seine äußere Erscheinung legt, selbst dann, wenn sein offizieller Tag beendet ist und er keinerlei Repräsentationspflichten mehr hat, sondern seinen Feierabend zu Hause verbringen kann. Von großer und schlanker Statur, trägt er gutsitzende Calvin-Klein-Jeans, ein dunkelgrünes Polohemd und hellbraune Mokassins. Seine von grauen Strähnen gleichmäßig durchzogenen schwarzen Haare, voll und leicht gewellt, sind noch naß vom Duschen.
Komisch, ständig diese anonymen Anrufe. Zu unterschiedlichen Tageszeiten, aber fast täglich klingelt das Telefon, und am anderen Ende wird sofort aufgelegt, wenn er sich meldet.
François Berrière will gerade den Salon verlassen, als das Telefon zum dritten Mal läutet. Im selben Augenblick wird die Tür geöffnet. Chantal, seine Frau, lächelt ihn flüchtig an.
»Laß mich mal rangehen.« Sie nimmt den Hörer ab, sagt: »Hallo?«, wirft ihrem Mann einen kurzen Blick zu und dreht sich dann mit dem Rücken zu ihm.
»Ja? Ach so, nein, nein, Sie stören nicht«, sagt sie zögernd und nimmt den Hörer nervös in die andere Hand. Wieder wendet sich ihr Blick rasch dem Präfekten zu. Der spürt, daß er offenbar unerwünscht ist, und verläßt den Raum. Als er die Tür schließt, vernimmt er gerade noch Chantals Lachen. Es klingt so, als sei sie mit dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung vertraut, als kenne sie ihn schon lange u