: A. L. Kennedy
: Süßer Ernst Roman
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446261280
: 1
: CHF 14.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 500
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jon ist ein guter Mensch in einer schlechten Welt. Als Staatsdiener der britischen Regierung in London muss er täglich unmoralisch handeln. Um seiner Entfremdung zu entkommen, schreibt er Liebesbriefe im Auftrag alleinstehender Frauen. Eine von ihnen ist Meg, die sich gerade von ihrer Alkoholsucht erholt. Von seiner Handschrift und seinen Worten betört, sucht sie Jon inmitten der pulsierenden Großstadt auf...
Gibt es sie wirklich, jene Liebe, die wahrhaft süß ist, weil sie den anderen - seine Verletzungen, seine Einsamkeit - ernst nimmt? In ihrem ergreifenden und skurril-witzigen Roman fragt A.L. Kennedy, wie in unserer narzisstischen Zeit wahre Gefühle noch möglich sind.

A. L. Kennedy, 1965 im schottischen Dundee geboren, wurde bereits mit ihrem ersten Roman Einladung zum Tanz (2001) berühmt und zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen britischen Autor:innen. Sie wurde mit zahlreichen wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2016 den Heine-Preis, 2020 den Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels. Kennedy lebt in Schottland und schreibt u. a. für The Guardian und die Süddeutsche Zeitung. Bei Hanser sind Das blaue Buch (Roman, 2012), Ein schlechter Sohn (Hanser-Box, 2014), Der letzte Schrei (Erzählungen, 2015), Schreiben (Blogs& Essays, 2016) und Süßer Ernst (Roman, 2018) erschienen.

 

 

Das war ach du lieber Gott  das hatte er nicht neinneinneinneinnein.

Mist.

Jon spürte, wie sein Hemd von Panikschweiß feucht, seine Jacke schwer und belastend wurde. Er war nicht richtig angezogen für so was, für dieses Problem, für diese Art Problem.

»Ich tue, was ich kann. Wirklich. Ach komm  Bitte  «

Er hielt einen Vogel fest.

Obwohl er nicht wollte.

Er hatte einen Vogel in der Hand.

Eine Taube auf dem Dach wäre mir definitiv lieber. Hahaha.

Aber dieser Vogel schaffte es weder aufs Dach noch sonst irgendwohin. Das war ja das Problem.

Dämliche Sprüche sind das Problem. Aber das ignorieren wir mal. Wenn man dämliche Sprüche ignoriert, verpuffen sie womöglich. Im Gegensatz zu Problemen.

»Lass mich  lass mich einfach. Ich bringe das in Ordnung.« Er war auch nicht ansatzweise überzeugt, dass er es in Ordnung bringen konnte.

Gut möglich, dass er log. Einen Vogel anlog.

Der war ziemlich jung, das ornithologische Äquivalent eines dicklichen Kleinkinds oder vielleicht auch eines Pommes mampfenden Teenagers, und er wehrte sich in Jons gewölbter linker Hand, während Jon sich mit der Rechten abmühte, ihn zu besänftigen. Jetzt war er nämlich gar nicht sanft. Der Vogel zwickte ihn, kniff seinen linken Zeigefinger mit dem Schnabel  ein Zeichen entschlossener Ohnmacht und winziger Tapferkeit.

Jon wollte ihn nicht ängstigen.

Aber er konnte ihn auch nicht seinem Schicksal überlassen  nicht in seinem derzeitigen Zustand.

Aber weil er ihn eben nicht ließ  weil er ihn rettete  , kam er schon zu spät. Das Tier untergrub seinen Vormittag, zog seinem Terminplan den Stöpsel heraus. Darauf hätte er ehrlich gesagt verzichten können, wo sein Tag ohnehin anstrengend zu werden versprach, mörderisch, zum Scheitern verurteilt, leicht aus der Bahn zu werfen durch einen verdammten unvorsichtigen Atemzug. Sozusagen.

Heute ist der Tag, an dem ich kriege, was ich verdiene.

Glaube ich. Möglicherweise.

Als könnte das irgendein Mensch, irgendein menschlicher Körper aushalten.

Sozusagen.

Aber man musste aus dem Tag das Beste machen, was auch geschah. Man musste immer sein Bestes geben  denn sonst stellte sich ja niemand zur Verfügung.

Andererseits war man vielleicht schon dabei, etwas gar nicht so Gutes zu tun  Vögel waren empfindlich, Tiere im Allgemeinen waren empfindlich, und Vögel im Besonderen waren schnell überfordert und konnten durch einen einfachen Schock buchstäblich umgebracht werden. Vielleicht tötete er den Vogel.

Aber das wollte oder beabsichtigte er gar nicht  was wiederum für ihn sprach.

Aber mit seiner mangelnden Erfahrung würde er das garantiert vermasseln 

Zu viele Aber  das sieht mir gar nicht ähnlich. Ich bin doch der Mann, der die Aber beseitigt. Dafür bin ich bekannt  jedenfalls ein bisschen. Ich kann sie aus jeder öffentlichen Verlautbarung, Pressemitteilung, Zusammenfassung, aus jedem Bericht, Verlaufsprotokoll, Grünbuch, Weißbuch, aus jeder Notiz auf einem Briefumschlag tilgen, wenn Sie darauf bestehen, dass Sie meine Hilfe brauchen und einen heiklen Tag haben, dann tue ich eben, was ich kann  Theoretisch kann ich sogar eine Krebserkrankung, nun ja, verwandeln  der Krebs ist zwar noch da, aber stellt sich zugleich als glückliche Fügung heraus, wenn man mir nur genug Zeit gibt. Diese Fähigkeit habe ich. Ich will sie nicht, aber es scheint notwendig zu sein, dass Jon Corwynn Sigurdsson jedes Hindernis, jedes Gefühl von Widerstand beseitigt und die möglichen Folgen jeder beliebigen Handlung übertüncht. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen irgendein Teil