Eins
COHEN
Jede Minute in einer shaerdanischen Taverne ist eine Minute zu viel. Ich bedeute Finn, sich hinter mir zu halten, als die knarzende Tür zuschlägt und wir den lauten, überfüllten, von Laternen erleuchteten Raum betreten. Wir ernten einige Blicke, doch die meisten Gäste wenden sich gleich wieder ihren Krügen zu. Nur ein einäugiger Kater, der auf einem Bierfass hockt, stiert meinen jüngeren Bruder und mich unverwandt an. Mich stören weder die griesgrämigen Gestalten, die in Spelunken wie dieser immer zu finden sind, noch die Dirnen mit ihren hochgerafften Röcken und den bunten Unterkleidern oder der grölende Barde und der Kerl, der ihn an der Gitarre begleitet. Alle sind sturzbetrunken – die Augen glasig, die Münder breit grinsend, die Stimmen angeregt krächzend. Nein, es ist der Geruch, der mir jedes Mal zusetzt. In diesem regenreichen Land riecht alles viel stärker, und darum hängt in den Tavernen stets eine beißende Mischung aus schimmelnden Dielen, Essig und fermentiertem Elend in der Luft.
Ich halte den Atem an und schiebe ein zusammengefaltetes Stück Pergament in meine Gürteltasche. Finn beobachtet mich. In den letzten vier Wochen hat er schon öfter gesehen, wie ich es hervorhole. Ihm wird nicht entgangen sein, dass ich das immer häufiger tue, je weiter wir uns von Malam entfernen.
Er hütet sich wohlweislich, es zu erwähnen.
Finn und ich durchqueren den Schankraum und setzen uns an den Tresen. Nach der langen Nacht und dem halben Tag im Sattel tut die Rast gut. Würde ich meinen Kopf auf die Hände legen, könnte ich auf der Stelle einschlafen. Verlockend, wenn wir dem Ziel unserer Jagd nicht so nah wären. Und wenn wir uns nicht in Shaerdan befänden, wo unsere malamische Herkunft auf keinen Fall auffliegen darf. Die Vision eines goldblonden, sommersprossigen Mädchens mit einem Lächeln, das man sich verdienen muss, bohrt mir einen Pfeil der Sehnsucht ins Herz.
Am Tisch unmittelbar hinter uns ist ein Kartenspiel im Gange. Shaerdanische Silberstücke türmen sich hoch genug, um gierige Zuschauer anzulocken. Ich verdränge die Müdigkeit und straffe die Schultern. Zwinge mich, die Hände zu entspannen. Eine ruht über meiner linken, mit Münzen gefüllten Hosentasche. Die andere liegt locker auf dem Tresen. Ich bemühe mich, glaubwürdig zu wirken. Heute darf ich mir keine Fehler erlauben. Nicht wenn wir so kurz davor sind, Lord Jamis’ Mätresse zu finden.
Der Wirt ist ein kräftiger Kerl, nicht größer als ich, aber mit einem Wanst, als hätte er sich ein Fass Bier vor den Bauch gespannt. Er unterhält sich eifrig mit den anderen Gästen und schenkt Finn und mir keine Beachtung. So ist das in den Tavernen. Hier liebt man Klatsch und Tratsch ebenso sehr wie auf den Märkten von Malam.
Ich werfe dem Mann einen finsteren Blick zu und poche mit den Knöcheln auf den klebrigen Tresen.
»Komm ja schon«, grummelt der Wirt. Er schiebt sich zu mir rüber und stützt die Arme auf die Bar zwischen uns. Seine trüben, schwarzen Augen wandern über mich und meinen kleinen Bruder. »Was solls sein?«
Hier in Rasimere, einem entlegenen Städtchen in Shaerdans Süden, war ich noch nie. Seit Malam un