Prolog
»Fieke? Fiiiiieke!« Die schneidende Stimme ihrer Mutter drang durch das verwilderte Gebüsch, hinter das sich Prinzessin Sophie Auguste Friederike mit ihrem jüngeren Bruder Willi verzogen hatte.
Willi, eigentlich Wilhelm Christian Friedrich, der bislang mit seiner Spielzeugtrommel im Kreis marschiert war, blieb abrupt stehen. »Hier ist sie, Frau Mutter!«
»Petze!« Sophie, die in der Familie nur Fieke gerufen wurde, zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Im nächsten Moment stand ihre Mutter auch schon neben ihnen.
Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorp, Fürstin von Anhalt-Zerbst, war eine schöne Frau. Sie war am Hofe ihres Onkels in Braunschweig erzogen worden und besaß einen außerordentlichen Familienstolz. Ihre Ehe mit dem zweiundzwanzig Jahre älteren und in seiner soldatischen Schlichtheit äußerst gegensätzlichen Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst hatte ihrem Temperament, ihrer Lebendigkeit und ihrem Lebenshunger keinen Abbruch getan. Nur Sophie, die ungeliebte Tochter, passte nicht in ihr Leben.
»Wie siehst du denn schon wieder aus?« Fürstin Johannas Stimme steigerte sich zum Diskant. Sie fächelte sich mit einem filigranen Fächer Luft zu, und ihr geschnürter Busen wogte vor Empörung.
Sophie bot wirklich nicht das Bild, das eine Mutter von ihrer Tochter erwarten konnte. Ihr Kleid war zerknittert und am Saum eingerissen, ihr Gesicht verschwitzt und von einem Schmutzstreifen quer über die Stirn verziert, ihr Haar aufgelöst.
»Heute Abend treffen liebe Gäste ein, mein Bruder Adolf Friedrich mit seinem Mündel. Wir wollen ihn angemessen begrüßen, und du musst einen guten Eindruck hinterlassen. Schließlich muss ich sehen, dass ich für dich einen passenden Gemahl finde, und du siehst aus wie eine Gänsemagd! Wie soll ich so ein hässliches Ding wie dich bloß unter die Haube bekommen?«
Patsch! Eine schallende Ohrfeige landete auf Sophies Wange.
Willi kicherte hinter vorgehaltener Hand.
Sophie unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Eher bekam sie Mitleid mit Babette, ihrer Gouvernante, die wohl den Rest des Zorns von Sophies Mutter abbekommen würde.
Fürstin Johanna legte den Arm liebkosend um Willi. Augenblicklich änderten sich ihre Laune und ihre Stimmlage. »Komm, mein kleiner Liebling, auch dich müssen wir ordentlich herrichten. Schließlich willst du doch heute Abend bei deinem Onkel auch einen guten Eindruck hinterlassen, nicht wahr?«
»Ja, Frau Mutter«, erwiderte Willi folgsam.
Sophie sah hinter den beiden her, wie sie sich entfernten. Es war ein böser, hasserfüllter Blick. Hass auf ihre Mutter, die sie so lieblos behandelte, ihren jüngeren Bruder Willi aber verhätschelte und bevorzugte; Hass auf Willi, der hinkend neben der Mutter ging, dabei sein verkürztes Bein hinterherzog wie ein lahmes Pferd. Willi würde nie ein Soldat werden, auch wenn er ständig zu irgendwelchen Heilkuren geschickt wurde. Meist benötigte er eine Krücke, und in Sophies Augen war er nichts weiter als ein nutzloser Krüppel.
Sophies Mutter sah dies allerdings ganz anders. Während sie Willi ihre ganze Liebe und Zuneigung schenkte, hatte sie für ihre Tochter nichts weiter als Verachtung übrig. Sophie war hässlich, Sophie war eine Belastung, Sophie war ein Mädchen.
»Petze«, wiederholte Sophie noch einmal, doch weder die Mutter noch Willi konnten es hören.
Babette zupfte Sophies Kleid zurecht. Nichts im Gesicht der jungen Gouvernante verriet das Donnerwetter, das sie eben über sich ergehen lassen musste. Die Fürstin war nicht z