Donnerstag
Das Gesicht meiner Mutter taucht hinter meinem eigenen im Spiegel auf, geschminkte Lippen auf gepuderter Haut.
Trotz der schwülen Hitze liegt jedes Härchen ihres Bobs, wo es liegen soll. Samstags geht sie immer zum Friseur. »Das habe ich mir verdient«, sagt sie. »Egal, wie teuer es ist.«
Karen Hennessy lässt sich drei Mal pro Woche die Haare im Salon föhnen. Sie spricht nie darüber, wie viel das kostet.
Mir ist heiß, meine Wangen sind rot gefleckt und das verwaschene Trägertop, in dem ich geschlafen habe, klebt mir am Körper. Ich schaue von ihr wieder zu mir.
Du bist deiner Mutter so ähnlich, sagen die Leute immer.Ihr seid euch wie aus dem Gesicht geschnitten.
»Guten Morgen«, sagt sie. »Warum starrst du dich so im Spiegel an?« Mir entgeht nicht der kritische Blick, mit dem sie mein verschwitztes Top mustert, durch dessen feuchten Stoff sich meine Brustwarzen abzeichnen.
»Nur so.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Was ist? Was willst du?«
»Bloß nachsehen, ob du schon wach bist.«
Ich deute zum Schreibtisch, auf dem mein aufgeklappter Laptop steht, der Ordner mit Notizen, mein Irisch-Englisch-Wörterbuch und »Fiche Bliain ag Fás«, die Erinnerungen des Schriftstellers Muiris Ó Súilleabháin, die wir gerade in der Schule lesen. »Ich bin seit fünf wach«, sage ich. »Wir haben heute mündliche Tests bei O’Leary.«
Und wetten, Jamie bekommt wieder die volle Punktzahl? O’Leary wird wie immer mit geschlossenen Augen in seinen Stuhl zurückgelehnt zuhören und, wenn er dann hochschaut, komplett überrascht sein, weil er beim Zuhören vergessen hat, wer gelesen hat. Dass ausgerechnet Jamie das lupenreinste Irisch von uns allen spricht, haut ihn jedes Mal wieder um.
»Der gute Diarmuid O’Leary.« Mam lächelt. »Weiß er eigentlich, dass du meine Tochter bist?« Ich antworte darauf nichts. »Ich habe dir deine Vitamine gebracht«, sagt sie. »Man soll sie vor dem Frühstück nehmen.«
»Mach ich später.«
»Ach, Emmie. Die Verkäuferin bei Health Hut hat sie extra für dich bestellt.«
»Ja, ja. Weiß ich, Mam.« Ihre Lippen werden schmal, weshalb ich schnell lächle. »Das war supernett von ihr.«
»Dann lasse ich sie dir hier, ja?« Sie deponiert die Tablette und das Wasserglas auf meinem Nachttisch, wo mein iPhone liegt und eine Sammlung einzelner Ohrringe.
Danach kommt sie noch einmal zu mir, legt mir eine Hand auf die linke Hüfte und die andere aufs Steißbein und rückt mein Becken gerade. »Du musst auf deine Haltung achten, Liebes.« Sie duftet nach Mehl und Zimt und dem blumigen Parfüm, das sie immer schon benutzt. Ich sehe vor mir, wie sie in einem silbrig schimmernden Seidenkleid in ihrer Ankleideecke am Schminktisch sitzt, leuchtendes Rot auf den Lippen, die