Kapitel 1
Wenn meine Mom wüsste, dass ich gerade vor demVorboten saß, würde sie mich umbringen. Ja, ohne zu zögern umbringen und tief unter der Erde vergraben würde sie mich. Die Mittel dazu hatte sie.
Wenn sie von der Brownies backenden Mom mit Schürze zu Colonel Sylvia Dasher wurde, jagte sie mir echt Angst ein.
Was mir blühte, wenn ich erwischt würde, hatte mich offensichtlich dennoch nicht davon abhalten können, herzukommen, denn hier saß ich in Heidis Wagen auf dem Parkplatz und zog mir mit zitternder Hand ein weiteres Mal die Lippen nach. Während ich den Stift zurückdrehte, betrachtete ich die dicken Regentropfen, die auf die Windschutzscheibe prasselten.
Mein Herz hämmerte in meinem Brustkorb so wild, als wollte es unbedingt heraus.
Ich konnte noch immer nicht glauben, dass ich wirklich hier war.
Viel lieber wäre ich jetzt zu Hause und würde mich damit beschäftigen, schöne Gegenstände um mich herum zu fotografieren, um sie später auf Instagram zu posten. Die grau-weißen Retro-Kerzenständer zum Beispiel, die meine Mom gerade gekauft hatte. Arrangiert mit den hellblauen und rosafarbenen Kissen aus meinem Zimmer sähen sie sicher super aus.
Vom Fahrersitz aus hörte ich Heidi Stein laut seufzen und sagen: »Du bist dir nicht mehr sicher, ob du es willst.«
»Doch, doch.« Ich beäugte das Resultat meiner Schminkaktion. Meine Lippen waren so rot, als hätte ich heiß und innig mit einer überreifen Erdbeere geknutscht.
Nice.
Meine braunen Augen wirkten viel zu groß für mein rundliches, sommersprossiges Gesicht. Die Panik war mir ins Gesicht geschrieben, als würde man von mir verlangen, nackt zwanzig Minuten zu spät in die Klasse zu spazieren.
»Nein, bist du nicht, Evie. Es ist in die fünfhundert Schichten Lippenstift graviert, die du dir gerade aufgepinselt hast.«
Zerknirscht sah ich sie an. Sie schien sich wohlzufühlen in ihrem trägerlosen schwarzen Kleid und mit den dunkel geschminkten Augen. Diesen Katzenaugen-Look hatte sie einfach drauf. Wenn ich mich daran versuchte, sah ich danach immer aus wie ein malträtierter Waschbär. Deshalb hatte ich mein Make-up, noch bei ihr zu Hause, auch Heidi überlassen, und sie hatte die Smokey Eyes super hingekriegt. Eigentlich sah ich ziemlich gut aus. Abgesehen von dem panischen Blick, aber …
»Ist der rote Lippenstift zu viel?«, fragte ich. »Sehe ich doof aus?«
»Wenn ich auf Blond stehen würde, fänd ich dich voll scharf«, antwortete sie grinsend und ich verdrehte die Augen. »Bist du dir sicher, dass du willst?«, fragte sie dann.
Ich blickte durch die Windschutzscheibe auf das dunkle, fensterlose Gebäude, das zwischen einem geschlossenen kleinen Klamottenladen und einem Zigarrengeschäft eingeklemmt war. Stockend holte ich Luft.
VORBOTE stand in großen schwarzen Buchstaben über der roten Doppeltür. Ich kniff die Augen zusammen. Es sah aus, als sei der Name des Clubs mit der Sprühdose auf den grauen Beton geschrieben worden. Das hatte Stil.
Auf der Centennial-Highschool kannte jeder denVorboten. Der Club war angeblich immer brechend voll, selbst am Sonntag, und man erzählte sich, dass sie hier mit gefälschten Ausweisen ziemlich locker umgingen und sich einen feuchten Dreck darum scherten, dass man offiziell erst mit einundzwanzig in Clubs durfte.
Heidi und ich waren eindeutig erst siebzehn und damit natürlich im Besitz von so was von hundertprozentig gefälschten Ausweisen, dass niemand, der auch