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KAPITEL 2
Die Sehnsucht der Herzensflüchtlinge
Wie findet man zurück in seine Heimat? Wie findet man eine neue Herzensbleibe? Wo fängt man so eine Reise an?
Ich glaube, jede Flucht, jede Reise beginnt mit der Sehnsucht. Zumindest sagte das jene Ordensschwester am Beginn meiner Reise. »Fang an, die Bibel wirklich zu lesen und nicht nur das darin zu finden, was du eh schon erwartest!« Ich habe gelesen. Erwartungsvoll. Dabei habe ich die Entdeckung gemacht: Es geht darin um nichts anderes als um die Suche nach Heimat. Die Bibel ist voll mit Geschichten von Herzensflüchtlingen. Nur deshalb habe ich den Mut, darüber zu schreiben. Weil es um eine große Sache geht. Die Suche nach Heimat wird das Herz verändern. Es wird so viel über die Worte Gottes gepredigt, aber so wenig über unsere Sehnsucht nach einem Zuhause. Dabei könnte das entscheidend für uns sein. Vor allem für uns, die wir nicht mehr selbstverständlich eine äußere Heimat haben. Wir, die wir von Zweifeln und Fragen getrieben sind. Wir, die wir Herzensflüchtlinge sind.
Die Tiefe und die Weisheit, um die es bei der Suche nach Heimat geht, haben mich verändert. Grundlegend verändert. Und nur deshalb erzähle ich darüber. Deshalb folge ich den Menschen, die von dieser Sehnsucht nach einem inneren Zuhause angetrieben waren. Nach Heimat. Nach Geborgenheit. Nach Angenommensein. Nach einem Platz zum Sein.
DIE GESCHICHTE DES HEIMATLOSEN MENSCHEN
Beim Trekking nimmt man so wenig wie möglich mit, weil man alles tragen muss. Wir waren vier Wochen auf Feuerland und in Patagonien unterwegs. Mein Mann hatte sogar meine Zahnbürste abgesägt, um Gewicht zu sparen. Kurz vor der Abreise hatten wir beschlossen, unsere kleinen Daunen-Kopfkissen zu Hause zu lassen. Normalerweise begleiten sie uns immer auf unseren Trekkingtouren. Wir würden uns auch aus Kleidern oder dem Rucksack ein bequemes Kopfkissen bauen können, dachten wir. Da wir einmal länger als zehn Tage in der Wildnis waren, zählte wirklich jedes Gramm – und Nudeln schienen wichtiger als ein Ort, worauf wir unsere müden Häupter betten konnten. Aber wir bereuten es bitter. Die Nächte waren unglaublich unbequem. Wochenlang habe ich in unserem kleinen Zelt wach gelegen. Es waren dunkle und windige Nächte. Eines frühen Morgens kroch ich wieder einmal völlig übermüdet aus dem Zelt. Hätte ich nur mein Kopfkissen mitgenommen! Da fiel mir die »Geschichte des heimatlosen Menschen« ein. Der Mann, der auf der Suche nach einem inneren Zuhause war, musste auch ohne Kopfkissen auskommen. Ich war nur im Urlaub, aber dieser Mann hatte ganz anderes zu überstehen …
Er ist auf der Flucht. Er hat seine Heimat hinter sich gelassen, seine Identität, seine Familie und alles, was ihm lieb ist. Er ist ein Herzensflüchtling. Jakob ist einer, der vor sich selbst, seiner Familie und seiner Heimat davonläuft. Er ist einer jener unruhigen Menschen, die mir so sympathisch sind, weil sie mir so ähneln. Er ist ein Wortbrecher, ein Übertreiber, ein Lügner. Er ist der jüngere von Zwillingen. Dass er so knapp nach seinem Bruder auf die Welt kommt, soll sein ganzes Leben beeinflussen. Er sehnt sich nach der Anerkennung des Vaters, der den Älteren dem Jüngeren immer vorzieht. Er kämpft mit sich und ist irgendwie nie er selbst. Die anderen Männer, auch sein