I
Ich schreibe diese Zeilen an einem alten Schulpult, in einem fremden Zimmer. Ich sitze auf einem kaputten Stuhl, der bei jeder Bewegung knarzt, deswegen halte ich möglichst still. In den Deckel des Pults haben Kinderhände – oder waren es die eines Mannes? – Symbole eingeritzt, am Grund des leeren Tintenfasses liegt ein Käfer auf dem Rücken. Eben noch meinte ich zu sehen, wie er sich bewegt, aber er ist staubtrocken und wahrscheinlich schon lange vor meiner Ankunft gestorben.
Der Papierschirm der Lampe, die zu meinen Füßen steht, ist mit Nachtfaltern bemalt und die Staubschicht auf der Glühbirne so dick wie Filz. Ich wage nicht, sie einzuschalten, aus Angst, die anderen könnten es sehen und zurückkommen. Zu meiner Seite befinden sich zwei Fenster, und ein helles Licht vom Ende des Gartens wirft zwei abgeschrägte Flächen an die Wand und lässt das Schreibpapier gelb erscheinen, ebenso wie meine Hände, die aussehen, als gehörten sie nicht zu mir; ich muss mich fragen, wo meine geblieben sind und was sie gerade tun. Ich lausche auf Schritte im Flur oder Stimmen im Garten, aber es ist nichts zu hören als das stille Haus. Man hat mir zu viel zu trinken gegeben, ich habe ein Dröhnen in den Ohren, und meine Augen brennen, sobald ich versuche, sie zu schließen …
Ich habe noch nie Tagebuch geführt. Nichts, was mir je passiert ist, war es wert, aufgeschrieben zu werden. Doch was sich heute ereignet hat – was ich heute getan habe –, ist so unglaublich, dass ich fürchte, ich könnte es in einem Monat für einen grotesken Roman halten, gelesen vor vielen Jahren, als ich noch jung war und es nicht besser wusste. Ich trage nichts bei mir, das Schreibheft habe ich in dem Pult gefunden, an dem ich sitze. Es lag ganz hinten in der Schublade, unter von Feuchtigkeit gewellten Zeitungen. Das Papier riecht modrig, und die Seiten sind leer, alle bis auf die letzte, auf die jemand immer wieder denselben Namen geschrieben hat, Zeile für Zeile, als hätte er eine Unterschrift geübt. Der Name ist fremdartig, kommt mir aber seltsam bekannt vor, ich weiß bloß nicht mehr, woher: EADWACER, EADWACER, EADWACER.
Ich habe meinen daruntergesetzt, denn falls ich jemals wieder einen Blick in dieses Heft werfe, soll meine Handschrift mich daran erinnern, dass ich derjenige war, der all diese Ereignisse aufgeschrieben hat; dass ich all das getan habe und niemanden die Schuld trifft als mich. Ich schreibe meinen Namen noch einmal, in mutigeren, größeren Buchstaben, als er es verdient hat,JOHN COLE, dreifach unterstrichen.
Ich wünschte, ich könnte meine Geschichte in der Stimme eines anderen erzählen. Ich wünschte, ich könnte all meine Lieblingsbücher nehmen und mir Worte leihen, die besser sind als diese; aber ich muss mich wohl mit einem leeren Heft und mir selbst begnügen, einem Mann, der noch nie eine Geschichte zu erzählen hatte und nicht weiß, wo er anfangen soll, außer ganz am Anfang …
Letzte Nacht habe ich tief und zu lange geschlafen; beim Aufwachen hatte sich das Laken so fest um meine Beine gewickelt wie ein Seil. Meine Kehle war wund und trocken, als wäre ich gerannt. Ich zog den am Vorabend herausgehängten grauen Anzug und eine graue Krawatte an, und beide saßen so schlecht, als gehörten sie einem Fremden.
Auf der Straße war es unheimlich still, seit dreißig Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Viele Leute hatten inzwischen die Stadt verlassen, um sich anderswo vor der Sonne zu verstecken, und ich fragte mich, ob ich eines Morgens vor die Tür treten und feststellen würde, dass ich als Einziger noch hier bin. Auf dem Weg zur Arbeit begegnete ich keinem einzigen Nachbarn, und in allen Schaufenstern waren die Jalousien heruntergelassen. Ich stellte mir vor, dass die Kunden schon vor dem Buchladen standen, durchs Fenster spähten und sich fragten, wo ich denn bliebe, schließlich komme ich nie zu spät – aber natürlich wartete niemand. Noch nie hat jemand gewartet.
Ich schloss das Geschäft auf und merkte schon nach kurzer Zeit, dass mir die trockene, kühle Luft nicht bekam. Ich fühlte mich schwach, mir war übel. Neben der Kasse steht ein Lehnstuhl (er hat meinem Vater gehört, und