Kapitel Eins
Ich habe viele Leben in diesem Körper gelebt.
Ich habe viele Leben gelebt, bevor sie mich in
diesen Körper gesteckt haben.
Ich werde viele Leben leben, wenn sie mich
aus ihm herausholen.
Wir
Das erste Mal, als unsere Mutter uns holen kam, haben wir geschrien.
Wir waren zu dritt, und sie eine Schlange, aufgerollt auf den Badezimmerfliesen, wartend. Aber wir hatten die letzten fünf Jahre damit verbracht, unserem Körper zu glauben – wir dachten, unsere Mutter sei jemand anderes, ein dünner Mensch mit geschminkten Wangen und einer großen, dick beglasten Brille. Also haben wir geschrien. Die Grenzen sind nicht so klar, wenn man neu ist. Es gab eine Zeit, bevor wir einen Körper hatten, als er sich noch selbst erschuf, Zelle für Zelle in dieser dünnen Frau, als er sorgfältig Organe entwickelte, ein System. Wir zogen ein und aus, um zu sehen, wie es dem Fötus ging, rauschten pfeifend durch das Wasser, in dem er trieb, im Takt der Lieder, die die dünne Frau sang, katholische Loblieder ihrer Familie, deren Körper als Asche in den Mauern einer Kathedrale in Kuala Lumpur lagerten. Welch ein Vergnügen, den gesungenen Rhythmus der Musik zu stören, ihn um den Fötus zu wickeln, bis er vor Freude strampelte. Manchmal haben wir den dünnen Körper der Frau verlassen, um hinter ihr herzuschweben und das Haus zu erkunden, in dem sie wohnte, wir folgten ihr durch die muschelblauen Wände, wir schauten ihr dabei zu, wie sie Teig zu runden Formen knetete und unter ihren Händen Chapatis blubberten.
Sie war klein, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, mit hellbrauner Haut, und ihr Name war Saachi. Sie war das sechste von acht Kindern, geboren am elften Tag des sechsten Monats, in Malakka, auf der anderen Seite des Indischen Ozeans. Später flog sie nach London und heiratete einen Mann namens Saul, in einem weißen Sari, der wie Schneegestöber aussah, mit Schleier und Blumen. Saul war ein forscher Mann mit verwegenem Lächeln und tiefbrauner Haut, mit dichten, kurz geschnittenen schwarzen Spulen auf dem Kopf. Er sang Jim Reeves in einem übertriebenen Bariton, sprach fließend Russisch und hatte Latein gelernt, und er tanzte Walzer. Es lagen zwölf Jahre zwischen ihnen, und dennoch, das Paar war schön, es passte gut zusammen, sie bewegten sich mit Anmut durch die graue Stadt.
Als unser Körper mit dem ihren verwoben war, waren sie bereits nach Nigeria gezogen, und Saul arbeitete für das Queen Elizabeth Hospital in Umuahia. Sie hatten schon einen kleinen Jungen, Chima, der drei Jahre zuvor in Aba zur Welt gekommen war, aber für dieses Baby (für uns), für dieses Baby war es wichtig, dass sie nach Umuahia zurückkehrten, wo Saul geboren worden war und sein Vater vor ihm und dessen vor ihm. Das Blut folgt den Wegen, fließt in die Erde, es ölt die Tore, lässt das Gebet Fleisch werden. Später würde es noch eine weitere Tochter geben, die in Aba zur Welt kam, und Saul würde beiden Mädchen in seinem Bariton vorsingen, ihnen zeigen, wie man den Walzer tanzt, und auf ihre Katzen aufpassen, als sie ihn verließen.
Doch bevor die Mädchen geboren wurden, wohnten sie (die dünne Frau und der forsche Mann) in einem großen Haus im Ärzteviertel, dem Ort mit dem Hibiskus draußen und dem Muschelblau drinnen. Saachi war Krankenpflegerin, eine pragmatische Frau, und so standen die Chancen bei den beiden gut, dass das Neugeborene leben würde. Wenn wir dieses Hauses müde wurden, flatterten und schwirrten wir umher, spielten auf dem Anwesen und beobachteten die Ranken der Yamswurzeln, wie sie nach oben krochen, zu den Stöcken, die sie stützten, wir beobachteten, wie die Maisgrannen ausdorrten, während sie reiften, wir beobachteten das Anschwellen der Mangos, und wie sie fle