Die professionelle Praxis der Ausbilder Eine kulturanthropologische Analyse
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Anke Bahl
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Die professionelle Praxis der Ausbilder Eine kulturanthropologische Analyse
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Campus Verlag
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9783593439679
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Arbeit und Alltag
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1
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CHF 36.30
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Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie
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German
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327
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Wasserzeichen
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Ausgehend von situations- und praxisorientierten Lerntheorien betrachtet Anke Bahl die Ausbildung in fünf Unternehmen, die sich in ihren Arbeitstätigkeiten stark unterscheiden: einem Metzgerbetrieb mit eigener Schlachtung, einem produzierenden Industrieunternehmen, einer Versicherungsgesellschaft, einer Holding der IT-Branche sowie einem Elektro- und SHK-Dienstleister. Die ethnografische Darstellung auf Basis von Narrationen liest sich wie eine Kulturgeschichte. Die Studie zeigt die Leistung der Berufsausbilderinnen und -ausbilder auf und beleuchtet deren Beitrag und betriebliche Position im Kontext aktueller Veränderungen.
Anke Bahl ist wiss. Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn und promovierte am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Frankfurt am Main.
1 Einleitung 'Keeping up with the Schmidts' - unter diesem Slogan erschien am 26. April 2014 ein Beitrag im Wirtschaftsmagazin The Economist. Darin setzt sich der Autor kritisch mit den bislang vergeblichen Versuchen des Inselstaats Großbritannien auseinander, seine Wirtschaft durch den Aufbau eines beruflichen Ausbildungswesens zu stärken, das dem deutschen dualen System gleichkäme. 'Attempts to build a snazzy, German-style apprenticeship system crash into cultural and economic differences', heißt es im Untertitel; der Text problematisiert, dass die von der Regierung zur Verfügung gestellten Fördergelder bislang weniger von technologieintensiven Unternehmen als von solchen, die Stellen im Niedriglohnsegment anbieten, abgerufen wurden. Eine Supermarktkette hatte sich hierbei besonders hervorgetan. Ein eingefügter Cartoon zeigt einen rothaarigen jungen Mann, der im Begriff ist, Konservendosen aus einem Karton zu einer Pyramide mit dem Schild 'Special Offer' an der Spitze zu stapeln. Eine Landesflagge mit dem Schriftzug 'Apprentice' auf seinem Rücken kennzeichnet ihn als britischen Auszubildenden, und er schaut staunend über seine rechte Schulter. Dort sitzt mit dem Rücken zu ihm eine blonde junge Frau mit Pferdeschwanz und Schutzhelm an einer gewaltigen, elektronisch gesteuerten Maschine. Sie ist über die entsprechende Nationalflagge als deutsche Auszubildende gekennzeichnet und bedient über Steuerknüppel und vielerlei Schalter vier Roboterarme, die mit unterschiedlichen Instrumenten Operationen an einem eingespannten Werkstück vornehmen. Inhalt und Ikonographie dieses Beitrags sind exemplarisch für das weltweit anhaltend große Interesse am Erfolgsrezept der dualen beruflichen Erstausbildung in Deutschland und den vielfachen Initiativen, das Prinzip der Kombination der Lernorte Berufsschule und Betrieb in andere Länder zu übertragen. Große Bewunderung ruft primär die arbeitsintegrierte Ausbildung in den Betrieben hervor, und dabei sind zwangsläufig auch Mythen im Spiel. Diese Arbeit möchte durch eine vertiefte ethnographische Auseinandersetzung mit der Ausbildungspraxis deutscher Betriebe dazu beitragen, zumindest einige der gängigen Klischees zu zerstreuen. Sie wendet sich dabei einer Gruppe von Personen zu, die auf dem Cartoon nicht abgebildet ist, auf den Lern- und Arbeitsprozess der Auszubildenden jedoch großen Einfluss nimmt, nämlich jene der sie ausbildenden Fachkräfte. Ihr Beitrag und ihre Position im betrieblichen Ausbildungsgeschehen stehen im Zentrum dieses Buches. 1.1 Themenstellung Die Praxis der Entwicklung von Fertigkeiten in sozialen Gemeinschaften und deren Weitergabe von Generation zu Generation gehört zu den zentralen Gegenständen der Kulturanthropologie. Die Tradierung von kulturellem Wissen im Kontakt zwischen Experten und Novizen ist der Schlüssel für die Reproduktion und Weiterentwicklung jeder Gesellschaft. In dieses Themenfeld reiht sich auch die berufspraktische Ausbildung im Betrieb ein, wie sie für die duale Berufsbildung im deutschen Bildungssystem konstitutiv ist. Als Teil der Belegschaft und im Prozess der Erwerbsarbeit werden junge Menschen (Auszubildende) schrittweise in die Praxis ihres Berufsfelds eingeführt und dabei von erfahrenen Fachkräften unterstützt. Diese Urform des ?organischen? Lernens durch soziale Teilhabe an der Praxis erfährt im Zuge der Modernisierung und Globalisierung große Veränderungen. Aus der schrittweisen Teilhabe an einer Praxis wird ?Lernen? als eigene, selbstständige Tätigkeit konstruiert; dieses findet zunehmend entbettet von sozialen Praktiken in der Arbeit statt und wird an eigene Institutionen wie Schulen und Bildungsstätten verschoben. Lernen wird zu einer eigenen ?Technik? beziehungsweise zu einer eigenen Tätigkeit erhoben. Entsprechend wird auch die Anleitung und Beförderung von Lernprozessen, das ?Lehren?, zu einer eigenen Technik, die sich weiter professionalisiert und zugleich standardisiert. Diese Entwicklung ist überall auf der Welt in ähnlicher Form zu beobachten, trägt jedoch je nach den Rahmenbedingungen vor Ort spezifische Züge. Sie soll hier am Fall der deutschen Berufsausbildung und ausgehend von der Figur und Warte des Berufsausbilders und der Berufsausbilderin exemplarisch untersucht werden. Beruflich gefasste Arbeit und die Ausbildung des Nachwuchses war in Europa über Jahrhunderte über das städtische Zunftwesen geregelt. Im Zuge der Erosion der Zünfte im 18. Jahrhundert jedoch beginnt sich die Tätigkeit des ?Ausbildens? allmählich als eigene Praxis zu konstituieren. Maßgebliche Treiber dieser Entwicklung, die parallel zum Aufbau eines modernen Schulwesens verläuft, sind die Aufklärung und die Industrialisierung. Insbesondere die Entstehung von Großbetrieben, der große Bedarf an qualifizierten Fachkräften, einschließlich der fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung der Branchen, machten eine gründliche Revision der bislang handwerklich geprägten Erziehungstradition erforderlich. Zum einen wird die allein arbeitsintegrierte Ausbildung nun schrittweise um einen öffentlich geregelten, schulischen Zweig ergänzt. Dies beginnt mit der Einrichtung von Sonntags-Gewerbeschulen in verschiedenen deutschen Kleinstaaten und führt über die Reform der kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Institutionalisierung einer - didaktisch am künftigen Beruf orientierten - Berufsschule. Deren verpflichtender Besuch wird im Jahr 1938 durch das Reichsschulpflichtgeset