: Gregor Kungl
: Die großen Stromkonzerne und die Energiewende
: Campus Verlag
: 9783593440002
: 1
: CHF 42.60
:
: Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie
: German
: 560
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Energiewende begann nicht erst mit dem Atomausstieg, auch wenn dieser wohl die hitzigsten Debatten auslöste. Welche Rolle spielten die Stromkonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall bei der Transformation der deutschen Elektrizitätswirtschaft? Dieser Prozess wurde durch die Unternehmensstrategien, aber auch durch die Lobbyingaktivitäten der vier Unternehmen maßgeblich mitgestaltet. Anhand einer breit angelegten Datenrecherche sowie Interviews mit hochrangingen Managern analysiert Gregor Kungl den Umbauprozess. So kann er nicht nur die langjährige ablehnende Haltung der Stromkonzerne gegenüber erneuerbaren Energien erklären, sondern auch die jüngste Branchenkrise.

Gregor Kungl ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart.
Vorwort Die vorliegende Arbeit entspricht - mit geringfügigen Änderungen - meiner am 22. Januar 2018 an der Universität Stuttgart verteidigten Dissertation mit dem Titel 'Die großen Stromkonzerne und die Transformation des deutschen Elektrizitätssektors'. Die zugrundeliegende Forschungsarbeit habe ich im April 2012 im Rahmen der Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS begonnen, einem Verbundprojekt, welches unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe von Fukushima ins Leben gerufen wurde, um die nachhaltige Transformation des deutschen Energiesystems aus einer interdisziplinären Perspektive zu analysieren und zu begleiten. Dieses groß angelegte Projekt bot für mich als jungen Forscher einen optimalen Rahmen, um in ein solch komplexes Themenfeld einzusteigen, sei es durch die Zusammenarbeit in der kleinen Forschungsgruppe unter Gerhard Fuchs in Stuttgart oder durch den Austausch mit den Projektpartnern bei den regelmäßigen Koordinationstreffen. Als nach vier Jahren das Forschungsprojekt abgeschlossen war, nicht jedoch meine Dissertationsschrift, ermöglichte mir die Reiner Lemoine-Stiftung durch die Gewährung eines Abschlussstipendiums die fokussierte Fertigstellung meiner Arbeit. Helmholtz-Allianz und Reiner Lemoine-Stiftung stellten damit nicht nur den finanziellen, sondern auch den institutionellen Rahmen, ohne den meine Forschungsarbeit in dieser Form nicht machbar gewesen wäre. Hierfür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Darüber hinaus will ich an dieser Stelle einige Personen nennen, deren Unterstützung maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Dies waren zu allererst die Betreuer meiner Dissertation Ulrich Dolata und Ortwin Renn, welche mir stets mit konstruktivem Feedback zur Seite standen. Für inhaltlichen Austausch bei zahlreichen Gelegenheiten und viele produktive Hinweise danke ich darüber hinaus Gerhard Fuchs, Sandra Wassermann und Frank Geels. Eine große Hilfe in energiewirtschaftlichen Fragen war mir außerdem Matthias Reeg. Ebenso nicht zu unterschätzen war die Unterstützung durch die Hilfswissenschaftler/ innen hier an der Abteilung für Organisations- und Innovationssoziologie, welche mir durch die Übernahme von zahllosen unbequemen Aufgaben den Rücken freigehalten haben. Dies waren über die Fünfjahresspanne hinweg Ulrike Fettke, Nancy Thilo, Michael Schier, Jochen Schuster und Michael Hanzel. Herzlichster Dank gebührt außerdem Elke Ristok, welche die Mühe auf sich genommen hat, die Arbeit vollständig gegenzulesen. Für etwaige, immer noch vorhandene Fehler bin jedoch selbstverständlich nur ich alleine verantwortlich. Abschließend möchte ich noch denjenigen Mitarbeitern der großen Energieversorger meinen Dank aussprechen, welche mich in meiner Forschungstätigkeit unterstützt haben, sei es indem sie Kontakte herstellten und damit den Feldzugang erleichterten oder indem sie sich die Zeit für ein persönliches Interview nahmen. Einleitung Die Entwicklung des deutschen Stromsektors war in den vergangenen zwei Dekaden von tiefgreifenden Umbrüchen gekennzeichnet. Einen ersten Einschnitt stellte die Liberalisierung des Strommarktes und die damit einhergehende Auflösung der vormaligen regionalen Versorgungsmonopole im Jahr 1998 dar. Die Marktöffnung zog eine Reihe von Unternehmenszusammenschlüssen nach sich, aus denen 2002 die vier Unternehmen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe hervorgingen, die als stabiles Oligopol gemeinsam für 90 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aufkamen und weitreichende Kontrolle über die Ereignisse im Sektor besaßen (Bundesnetzagentur 2007, S. 12). Parallel führte die rot-grüne Regierung im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ein, das erstmals eine sichere Investitionsgrundlage für den Ausbau regenerativer Energieträger bot. Deren Anteil an der deutschen Stromproduktion stieg im Folgenden rapide von gerade einmal 1,6 Prozent im Jahr der Einführung des Gesetzes bis auf 29 Prozent im Jahr 2015. Dieser Ausbau wurde jedoch nicht durch die großen Vier vorangetrieben, sondern ging maßgeblich auf Akteure zurück, die vormals nicht in der Stromproduktion tätig waren: Privatpersonen, welche Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern installierten, Landwirte, die in Biogasanlagen investierten oder Finanzmarktakteure, welche nach der Wirtschaftskrise sichere Anlagemöglichkeiten suchten. Die großen Stromkonzerne dagegen produzierten ihren Strom weitestgehend in großen Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken. Von den im Jahr 2010 in Deutschland installierten Erneuerbare-Energien-Anlagen waren lediglich 6,5 Prozent in Besitz der vier großen Stromkonzerne (trend:research 2011, S. 45). Der Rest gehörte Bürgergenossenschaften und Gewerbebetreibenden, Banken und Hausbesitzern. Im Zuge dieser Entwicklungen war der Anteil der großen Vier an der Gesamtstromproduktion in Deutschland auf 84 Prozent im Jahr 2010 gesunken, 2014 lag er nur noch bei 73 Prozent (Bundesnetzagentur 2011, S. 14; Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt 2015, S. 36). Dabei kam es nicht nur zu einer schleichenden Substitution fossiler und nuklearer Energieträger durch Wind- und Sonnenenergie und zu einer Heterogenisierung der Akteursstrukturen des Sektors, die Erzeugungsstruktur wandelte sich auch immer stärker von einer vormals zentralistischen Produktion in Großkraftwerken hin zu einer dezentral vernetzten Versorgung aus vielen Kleinanlagen. Doch dies sind nur die zeitübergreifend auffälligsten Entwicklungen im deutschen Stromsektor: Darüber hinaus kam es zu kartellrechtlichen Untersuchungen gegen die Stromkonzerne, welche Veränderungen der Energiewirtschaftsgesetzgebung nach sich zogen, es formierten sich lokale Bewegungen zur Rekommunalisierung der Stromnetze, die Wirtschaftskrise setzte den Sektor unter Druck und nicht zuletzt verfügte Bundeskanzlerin Merkel in Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima den vorgezogenen Atomausstieg - ein jahrelanges Hin und Her um die Zukunft der Kernenergie war dem vorausgegangen. All diese Entwicklungen gingen letztlich mit einem wirtschaftlichen Abstieg der vier großen Stromkonzerne einher, am drastischsten ersichtlich aus dem Verfall des Börsenwertes der Unternehmen. Der aufsummierte Marktwert von E.ON, RWE und EnBW lag 2007, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, bei 160 Milliarden Euro - bis 2015 war er auf 30 Milliarden Euro geschrumpft. Über den Zusammenhang zwischen dem Wachstum der erneuerbaren Energien und der Krise der Stromkonzerne gehen die Einschätzungen in der öffentlichen Debatte auseinander, wie überhaupt die Rolle, welche den großen Vier im Transformationsprozess des deutschen Energiesektors zugeschrieben wird, unterschiedlich eingeschätzt wird. Die mediale Berichterstattung spannt sich dabei zwischen zwei Extrempositionen auf: Vertreter einer ökologischen Lesart der Ereignisse sehen in den Stromkonzernen 'Dinosaurier' (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013b) und 'Blockierer' (The Huffington Post 2015) der Energiewende, welche den nachhaltigen Umbau der Energieversorgung 'verschlafen' (Manager Magazin 2013) hätten und anstatt das eigene Geschäft frühzeitig neu auszurichten, zu lange