1
Es ist verdammt noch mal zu kalt für eine Jagd.
Zitternd ziehe ich mir den Schal über den Mund und wische mir ein paar Schneeflocken aus den Wimpern. Dann trete ich kräftig auf mein Elektroskateboard. Wie alles, was ich besitze, ist das Ding alt und abgenutzt, die blaue Farbe schon fast komplett abgeblättert, sodass das billige silberne Plastik darunter zum Vorschein kommt. Aber noch steckt ein bisschen Leben darin, und als ich mit der Ferse härter aufstampfe, springt das Board endlich mit einem großen Satz nach vorn, direkt in die Lücke zwischen zwei Autokolonnen. Mein regenbogenbunt gefärbtes Haar peitscht mir wild ums Gesicht.
»Hey!«, schimpft ein Fahrer, als ich mich an seinem Wagen vorbeimanövriere. Ich werfe einen Blick über die Schulter: Er droht mir durch das offene Fenster mit der Faust. »Du hättest mich fast erwischt!«
Doch ich drehe mich wieder um und beachte ihn nicht weiter. Normalerweise bin ich netter – zumindest hätte ich ihm eine Entschuldigung zugerufen. Aber heute Morgen nach dem Aufwachen habe ich einen gelben Zettel an der Tür meines Apartments gefunden, getippt in der riesigsten Schriftgröße, die man sich vorstellen kann.
RÄUMUNG IN72STUNDEN
Kleine Hintergrundinfo: Ich bin fast drei Monate mit der Miete im Rückstand. Wenn ich also nicht schleunigst3450 Dollar auftreibe, sitze ich Ende der Woche auf der Straße.
So was würde wohl jedem den Tag verderben.
Der Wind brennt auf meinen Wangen. Zwischen den Wolkenkratzern blitzt grauer Himmel auf, der stetig dunkler wird, und in wenigen Stunden werden sich die paar Schneeflocken vervielfacht haben. Autos verstopfen die Straßen, eine endlose Spur von Bremslichtern von hier bis zum Times Square, untermalt von einem Hupkonzert. Hin und wieder durchschneidet der schrille Pfiff eines Verkehrspolizisten das Chaos. Abgasgeruch hängt schwer in der Luft und aus einem offenen Lüftungsschacht quillt Dampf. Auf den Bürgersteigen wimmelt es von Menschen. Jede Menge Schüler und Studenten sind auf dem Heimweg, leicht zu erkennen an ihren Rucksäcken und riesigen Kopfhörern.
Eigentlich müsste ich eine von ihnen sein. Dieses Jahr hätte ich mit dem College anfangen sollen, aber nach Dads Tod habe ich immer öfter die Schule geschwänzt und sie irgendwann ganz abgebrochen. (Na schön – genau genommen haben sie mich wohl rausgeworfen. Aber ich wäre da sowieso nicht mehr hingegangen. Dazu später mehr.)
Ich konzentriere mich wieder auf die Jagd und sehe erneut auf mein Handy. Vor zwei Tagen habe ich folgende Nachricht erhalten:
Polizei New York, ACHTUNG!
Haftbefehl gegen Martin Hamer ausgestellt.
Belohnung5000 $.
Die zunehmende Kriminalität auf den Straßen New Yorks hält die Polizei dermaßen auf Trab, dass sie mittlerweile gar keine Zeit mehr hat, selbst nach kleinen Fischen wie Martin Hamer zu fahnden, der illegal aufWarcross-Spiele gewettet hat. Außerdem soll er verschiedenen Leuten Geld gestohlen und Drogen verkauft haben, um sich damit sein Glücksspiel zu finanzieren. Die Bullen schicken etwa einmal pro Woche solche Benachrichtigungen raus, mit dem Verspre