PROLOG
Cat schwang sich über eine niedrige Wand. Wie immer beim Parcourslaufen, fühlte sie sich herrlich lebendig. Ihr Atem ging schneller, doch ihre Bewegungen blieben extrem kontrolliert, während Paolo und sie durch das leere Fabrikgebäude jagten.
Sie spannte sich an, machte einige schnelle Schritte an einer Wand hoch, sprang ab und packte den Rand eines glaslosen Dachfensterrahmens. Im Schwingen zog sie sich wie eine Katze hoch und über den Rand. Dort preschte Paolo plötzlich an ihr vorbei. Sie war zwar schnell und wendig, aber er hatte dafür wesentlich mehr Kraft im Oberkörper.
Mit einem riesigen Satz war er weg, quer über das Dach, um gleich darauf in ein leeres Treppenhaus zu springen, während sie sich beeilte, ihm zu folgen. Im Vorbeirennen stützte sie sich auf Treppengeländern, Mauern und Balustraden ab und hatte ihn fast eingeholt, als sie gemeinsam den äußeren Bauzaun erreichten.
„Heute habe ich gewonnen“, brachte er keuchend hervor.
Cat nickte und stemmte beide Hände auf die Knie. Ihr Pferdeschwanz hing ihr über die Schulter, während sie tief durchatmete. „Ja, dein Lauf war absolut tadellos“, gab sie zu.
Er grinste. „Könnte er dir gar als Vorbild und Anreiz dienen?“
Spielerisch schlug sie gegen seinen Arm. „Er hat leider nur fast meinem Standard genügt.“
Sie gingen zum Ausgang.
„Gleiche Zeit, nächste Woche?“, erkundigte Paolo sich.
„Möglicherweise habe ich einen Job außerhalb der Stadt. Ich rufe dich an.“
Er nickte und schloss seinen Wagen auf. „Soll ich dich mitnehmen?“
Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich will noch ins Fitnessstudio.“
Es lag direkt um die Ecke, und sie wollte nach den Kids sehen, die sie dort trainierte. Die meisten von ihnen waren Teenager mit persönlichen Problemen, genau wie sie selbst damals. Aber sie zeigten Ehrgeiz und Talent, und Cat genoss die gemeinsame Zeit mit ihnen, solange sie sich zwischen zwei Jobs befand.
Gedankenverloren nahm sie die schmale Gasse hinter sich als Abkürzung und bemerkte die drohende Gefahr fast zu spät. Die glänzende Limousine vor ihr wirkte in diesem Teil New Yorks völlig fehl am Platze, und der hochgewachsene Kerl mit der deutlich sichtbaren Beule unter dem Jackett, der daneben an der Hausfassade lehnte, hätte ihr eigentlich sofort auffallen müssen.
Blitzschnell stieß er sich von der Wand ab, aber Cat war noch schneller. Als er die Hand nach ihr ausstreckte, duckte sie sich, packte gleichzeitig seinen Unterarm und brachte den Fremden mit einer energischen Drehung zu Boden. Dann drückte sie ihm ihr Knie fest zwischen die Schulterblätter und nahm ihm seine Waffe ab.
„Miss Dubois!“
Sie drehte sich um und sah einen zweiten Mann vor der offenen Tür der Limousine stehen. Er war schlank, trug einen schwarzen Anzug und hatte die Augen vor Überraschung weit aufgerissen. Unter ihr gab der erste Mann ein unterdrücktes Stöhnen von sich.
„Miss Dubois, bitte. Ich möchte mich nur mit Ihnen unterhalten.“
Hörbar stieß sie den Atem aus, und die Alarmglocken in ihrem Hinterkopf schrillten. Denn dieser Fremde sprach kein Englisch, sondern ihre Muttersprache: einen relativ eigenen, französischen Dialekt.
„Wer sind Sie?“ Vorsichtig verlagerte sie das Gewicht, damit ihr Gegner unter ihr besser Luft bekam. Sein Handgelenk hielt sie dabei immer noch fest umklammert.
Der andere Mann kam etwas näher. „Ich bin der US-Botschafter von St. Galla und würde Ihnen gern ein Arbeitsangebot unterbreiten. Darf ich Ihnen meine Karte und meinen Ausweis zeigen?“
Er kam noch näher an sie heran und hielt ihr die Papiere hin. Auf den ersten Blick wirkten sie vollkommen echt.
Cat stand auf und steckte sich die Pistole in den Hosenbund. „Wenn Sie ein Gespräch wünschen, warum schicken Sie dannihn?“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung zeigte sie auf den riesigen Kerl, der noch immer zu ihren Füßen lag.
Der Botschafter schnitt eine Grimasse. „Mir wurde angedeutet, Sie hätten möglicherweise Einwände gegen einen Annäherungsversuch durch die Vertretung von St. Galla, und ich musste sicherstellen, dass Sie mir zuhören würden. Seine Anweisung lautete lediglich, Sie zum Wagen zu bringen, damit wir beide miteinander sprechen können.“
Der Bodyguard rappelte sich schwerfällig auf, rollte ein bisschen die Schultern und nickte knapp. „Taktischer Fehler“, gestand er ein. „Ich wusste, Sie sind eine von uns, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet …“ Hilflos hob er die Schultern und zuckte gleich darauf