Die Verteidigung des Reviers
Im Arbeitskontext ist die kleinste territoriale Einheit zunächst die eigene oder die fremde Schreibtischfläche. Wenn man allein in einem Büro sitzt, dann beginnt das Territorium unmittelbar an der Eingangstür. Wenn man sich in einem Besprechungsraum aufhält, dann beginnt das Territorium auch bereits an der Türschwelle. Natürlich ist es hier aber von ausschlaggebender Bedeutung, was man innerhalb dieser vier Wände tut, wie zum Beispiel, wo man seine Unterlagen und Taschen deponiert oder auf welchen Platz man sich setzt. Ein geradezu exemplarisches Territorium, das von vielen Frauen und Männern unterschiedlich bewertet wird, ist der Firmenparkplatz. Meistens hat für weibliche Führungskräfte ein mit einem Namens- oder Kennzeichenschild markierter Parkplatz keine allzu große Bedeutung. Bei vielen männlichen Kollegen ist das völlig anders: Werden an diesem Ort territoriale Verletzungen vorgenommen, so sind diese in der Regel alles andere als zufällig.
Nie werde ich die Geschichte vergessen, die mir ein Kollege von einer seiner Klientinnen erzählte.
Ein großer mittelständischer Betrieb hatte für die Leitung der Marketingabteilung zum ersten Mal mit Frau Meier eine weibliche Führungskraft eingestellt. An ihrem ersten Arbeitstag fuhr die Managerin zu dem mit ihrem Kennzeichen markierten Parkplatz, nur um festzustellen, dass dort bereits ein anderer Wagen stand. Frau Meier war aber keine Anfängerin. Sie war mit den Hürden eines ersten Arbeitstags im neuen Betrieb vertraut, weshalb sie kein Zögern kannte: Sie ging zur Pforte und ließ einen Abschleppwagen bestellen.
Der Pförtner versuchte wortreich, Frau Meier davon abzubringen, aber sie bestand unbeirrt darauf. Obwohl es ein bisschen dauerte, bis der Abschleppwagen kam, blieb sie die ganze Zeit an der Rezeption in aller Seelenruhe stehen, was den Pförtner noch mehr ins Schwitzen brachte. Als der Abschleppwagen dann tatsächlich den anderen Wagen am Haken hatte, stürzte ein Herr in weißem Hemd und Krawatte aus dem Gebäude. Er sei doch gleich wieder weg! Dafür könne man doch Verständnis haben, da müsse man doch aus einer Mücke keinen Elefanten machen und so weiter und so fort. Frau Meier blieb in ihrem Businesskostüm völlig unbeeindruckt und erklärte dem Herrn kühl, dass das alles nicht ihr Problem sei. Dass jeder lesen könne, dürfte in dieser Firma wohl vorausgesetzt werden. Die Kosten für den Abschleppwagen musste der Mann zahlen.
Manche Betriebe sind wie Dörfer. Auch hier hatte sich das Geschehen vor dem Haus rasend schnell herumgesprochen, sämtliche Fenster an der Vorderfront des Firmengebäudes waren geöffnet, und ein großer Teil der Belegschaft hatte alles mitbekommen. Von diesem Tag an hatte Frau Meier im Betrieb einen enormen Ruf. In dieser Firma musste sie den Männern nicht mehr lange beweisen, dass man sie ernst zu nehmen hatte.
Eine beeindruckende Szene; aber so dramatisch kann es tatsächlich in Firmen zugehen, wenn Frauen und Männer im Konflikt aufeinanderprallen. Meiner Erfahrung nach ist ein Verhalten wie das von Frau Meier jedoch eher eine Ausnahme. Es gehört schon einiges an Know-how und Persönlichkeit dazu, um so eine Auseinandersetzung auch dann durchzustehen, wenn sie vor derart vielen Zuschauern stattfindet. Aber man muss ja nicht gleich auf so öffentlich inszenierte territoriale Strategien zurückgreifen. Im Alltag vieler berufstätiger Frauen genügen schon kleinere Zeichen, die aber große Wirkungen zeigen können. Wie im Falle von Frau Durwick.